In 280 Gemeinden wechselte die Mehrheit bei der zweiten Stichwahl von Hofer zu Van der Bellen.

 
profil ging auf Motivsuche für den Stimmungswandel
in Niederösterreich, Oberösterreich und Vorarlberg.

Auch ganz im Westen von Österreich, in Vorarlberg, gibt es „Drehorte“, obwohl schon im ersten Wahlgang Van der Bellen im gesamten Ländle deutlich vorne lag. Die Stadt Hohenems hat bereits einige Erfahrung mit Wahlkartenmalaisen und Wiederholungen von Stichwahlen.

Ziemlich genau vor einem Jahr wurde in der Stadt die Bürgermeisterwahl wegen Unregelmäßigkeiten bei den Wahlkarten wiederholt. Der damalige Vorarlberger FPÖ-Chef Dieter Egger gewann mit einigem Vorsprung, seitdem steht er der 16.000-Einwohner-Stadt als Bürgermeister vor.



Hohenems ist eine Kommune mit langer jüdischer Tradition, die heute aus verwinkelten Straßen mit angeschlossenen Einkaufsmöglichkeiten besteht, dazwi- schen einige Häuser als architektonische Schmuckstücke. In einem früheren Wahlkampf hatte Egger den Direktor des ortsansässigen Jüdischen Museums als „Exiljuden aus Amerika“ attackiert. Bei der ersten Stichwahl zur Bundespräsidentenwahl stimmten in Hohenems 50,33 Prozent für Norbert Hofer und 49,67 Prozent für Alexander Van der Bellen.



Im zweiten Wahlgang drehte sich das Blatt: Hofer 47,11 – Van der Bellen 52,89 Prozent.

Was ist da passiert? Dieter Egger, lässt sein Büro ausrichten, befinde sich derzeit auf Kurzurlaub. Man möge sich an die Landesgeschäftsstelle im 20 Kilometer entfernten Bregenz wenden. Dort ist zu erfahren, dass sich vielleicht ein enger Mitarbeiter Eggers melden werde, was dieser nach einem Tag macht, mit der Bitte, den Ortsparteiobmann in Hohenems zu kontaktieren. Zurück an den Start. Ein Treffen kommt nicht zustande.



Aha, sagt Bernhard Amann an diesem nebelverhangenen Dezemberfreitag und deutet auf einen weißen SUV auf dem Rathausparkplatz. Es ist der Punkt, an dem sich Provinz und Posse treffen.

Amann, 62, ist Vizebürgermeister in Hohenems. Seine Fraktion heißt „Emsige und Grüne“, und auch sonst neigt er eher zum Unkonventionellen. Mit seinem schulterlangen Haar und seinen zappeligen Gesten wirkt er wie ein Dino-Rocker. „Bürgermeister Egger ist also nicht auf Urlaub, sondern im Amt“, lacht Amann, der in der Stadt seit Jahrzehnten als eine Art Unruhegeist wirkt. 26 Jahre lang war sein Vater hier ÖVP-Bürgermeister. Amann jr. hat schon früh beschlossen, so lange in Hohenems zu bleiben, „bis man der Stadt das ansieht“.



Hohenems ist geteilt, und zwar buchstäblich. Bei der Ausfahrt Richtung Lustenau erstreckt sich ein Ödland voller Einkaufsmärkte, Fastfood-Tempel, Tankstellen, Kinocenter. Viele sagen, hier befinde sich das Zentrum. Bernhard Amann unterhält sich auf dem Platz im Schatten der historischen Burganlage mit Damen in wattierten Jacken und Zeitungsverkäuferinnen. Es scheint, als kenne er jeden hier. Er hat kein Problem damit, einem Pensionisten in brummigem Dialekt zuzurufen: „Ich bin der Bürgermeister der Herzen.“ Nur die Stimmen fehlten ihm, lacht er polternd. „Das hier schimpft sich ebenfalls Zentrum“, ätzt Amann: „Dabei sagen sich hier Fuchs und Igel gute Nacht.“ Auf einer Holzwand steht in weißer Schrift:

„Brot und Spiele braucht das Volk – mit der Dummheit der Massen ist zu rechnen.“

Im Vorfeld der Bundespräsidentenwahl kämpfte Amann gegen den lähmenden Stillstand an – mit Erfolg: „Es sind mehr Menschen zur Wahl gegangen. Man hatte Angst vor Isolation, bekam plötzlich mit, wie ernst die Lage ist.“

Er habe keine Van-der-Bellen-Wahl- empfehlung ausgesprochen, sondern immer nur gesagt, wen er selbst wählen werde. „Mein Motto war: Arsch hoch, ab zur Wahl.“



Von Wolfgang Paterno

Profil/Ausgabe Nr. 50/12. Dezember 2016

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen