Ich spüre noch immer dem Wochenende nach.


Von Gabriele Bösch

 
Unser Sohn David hat im August eine Lehre begonnen. Nach Monaten des Arbeitens, Forschens und Lernens wollte er wieder einmal etwas "unternehmen".
Ich staunte.
Er fuhr nämlich mit seinem Freund Mile nach Dachau.
Gemeinsam stellten sie sich einer Geschichte, die sie nicht am eigenen Leib erfahren hatten - sie hatten sie selbst im Wahlpflichtfach "nur gelernt".
Dort, in Dachau, haben sie sie erspürt und gespürt. Die Gespräche am Sonntagabend waren berührend, weil sie vom Willen junger Menschen zeugten, Die Geschichte, die sie nicht selbst erlebt hatten, nie zu vergessen. Ich verneige mich vor den beiden knapp über Zwanzigjährigen. Das Wort Obergrenze kam an diesem Abend nicht vor, und auch nicht das Wort Märchen.

Jetzt lese ich, dass in Breslau eine Judenpuppe angezündet wurde.
Was soll ich denken?
Dass dem Volk zu viele Spiele und zu wenig Brot angeboten wurde?
Dass die Bildungsreform verschlafen wurde?
Dass die Austeritiätspolitik Gräben reißt, in der das Wort Vernichtung erneut keimt?


Ich suche nach Ockhams Rasiermesser und finde es nicht.
Soll ich Angst haben?

Nein!
Das Mittel gegen Angst ist die Dankbarkeit.
Und davon habe ich viel.
Ich bin dankbar für diese Kinder!
Ich bin dankbar für all die Menschen, die sich der Flüchtlinge annehmen, in jeder noch so kleinen Geste.
Ich bin dankbar für Vladimir, der hier unentwegt und unermüdlich gegen diese Gegenwelt anschreibt.
Ich bin dankbar für jene PolitikerInnen, die sich für die Bildungsreform einsetzen.
Ich bin dankbar für die Marie, die Straßenzeitung.
Ich bin dankbar für jeden Menschen, der zurücklächelt.
Ich bin dankbar für alle KünstlerInnen, die Schönheit in die Welt tragen.
Ich bin dankbar für alle UnternehmerInnen, die auch in die Menschen, die bei ihnen arbeiten, investieren.
Ich bin dankbar für alle engagierten LehrerInnen, die mit Herz ihren Beruf ausüben.
Ich bin dankbar für jene Menschen, die unentwegt sich für den Dialog einsetzen.
Ich bin dankbar für unser Wasser, das wir einfach so aus der Leitung trinken können.
Ich bin dankbar für meine Ärzte und deren Einsatz.
Ich bin dankbar für alle meine Freunde, für solche tollen Einrichtungen wie das Visionscafé, für die Blumen in meinem Garten, für die schlaflose Nacht, vor der der Morgen im Schnee grad noch heller strahlt als sonst.
Ich bin sogar dankbar für die gescheiten Worte, die mir immer öfter nicht einfallen wollen.
So bleibe ich einfach.
Eine Realitätsverweigerin, die in die Wirklichkeit schaut.
Naiv?
Gut. Dann bin ich dem vermissten Rasiermesser vielleicht ganz eng auf der Spur.


Link: Gabriele Bösch - Autorenlexikon - Literaturport.de
Link: Wilhelm von Ockham – Wikipedia

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen