“Sie dachten, sie sind Kaiser”


Der grüne Abgeordnete Peter Pilz über die grassierende Korruption, die notwendige Kriminalisierung der Parteibuchwirtschaft und die Sitten des Wolfgang Fellner
von: Florian Klenk | aus FALTER 09/12
FALTER Wien Interview Politik | 0 Kommentare


Ein Gespräch mit dem Grünen Peter Pilz über Korruption, den U-Ausschuss und über Österreich. Wo soll es stattfinden? Im ersten Stock der Konditorei Demel am Kohlmarkt.

Pilz hatte hier, wo einst der legendäre Club 45 residierte, als marxistischer Student Udo Proksch persönlich getroffen. Der Parvenü und spätere Sechsfachmörder lud das Extrablatt, für das der Jungjournalist Pilz schrieb, in sein Reich.

Proksch schob eine große Torte herein, der eine schwarze Frau entstieg. „Der ebenfalls anwesende heutige Profil-Chef Herbert Lackner und ich haben unsere jugendlichen Häupter geschüttelt und unter lautem Protest das Lokal verlassen, um in einer anständigen Arbeitergastwirtschaft ein Bier auf eigene Rechnung zu trinken.“

Pilz wurde 1988 im Lucona-Untersuchungsausschuss als Parlamentarier bekannt. Heute, ein Vierteljahrhundert später, lähmt eine ganz andere Form von Korruption das Land. Warum?


Falter: Herr Pilz, sagt uns das, was hier im Demel geschah, noch irgendetwas über die Zustände in Österreich?

Peter Pilz: Nein. Die Korruption ist heute völlig anders. Hier fand das erste große Parvenü-Erlebnis der Sozialdemokratie statt. Die Roten dachten, sie sind Kaiser, die neue Elite des imperialen Wiens. Sie konnten nicht begreifen, dass man einen Mörder wie Proksch nicht von ganz oben schützen darf.

Die Korruption dreht sich heute nicht um Mörder.

Pilz: Was ist 2000 passiert? Die FPÖ etablierte sich als die Partei des organisierten Fressens. In der Opposition sind sie Germanen, in der Regierung Kleptomanen.

Sie waren weniger faschistisch als korrupt.

Pilz: Dass die EU so sensibel auf die FPÖ reagiert hatte, war ja im Grunde sehr sinnvoll. Es wäre schön, wenn es heute auch noch so wäre. Nun wissen wir: Korruption und Rechtsextremismus gehen auch bei der FPÖ Hand in Hand. Das war bei den Nazis schon so und das ist bei der FPÖ nicht anders. Rechtsextreme sind marodierende Taschendiebe. Sie sind politische Hütchenspieler mit Schlagringen.

Wie erklärt man den deutschen Touristen hier im Demel die Ursache für die Korruption im Land?

Pilz: Der große Unterschied zwischen Österreich und Deutschland ist die nicht funktionierende Gewaltenteilung und der mangelnde Verfassungspatriotismus. Was hat denn nach 1945 die Gesellschaft zusammengehalten? Die deutsche Antwort lautete: Rechtsstaat und Verfassungspatriotismus. In Österreich war die Antwort: das gemeinsame Boot, der Filz. Positiv formuliert war das die Sozialpartnerschaft, die Große Koalition. Ich möchte hier über ein interessantes Gespräch mit Ernst Strasser berichten. Als er noch Innenminister war, traf ich ihn ab und zu zum Mittagessen. Ich diskutierte einmal mit ihm über die neuen Überwachungsgesetze, die für mich unerträglich waren. Ich fragte Strasser: Kennen Sie die Antwort, die der damalige SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt am Höhepunkt des RAF-Terrors auf die Frage gegeben hat, wie er den deutschen Staat schützt? Schmidt sagte: „Ich schütze nicht den Staat, ich schütze die Verfassung.“ Strasser blickte mich ratlos an. Der juristisch gebildete Innenminister verstand einfach nicht, was ich mit Verfassungspatriotismus meine.

Wieso haben wir keinen Verfassungspatriotismus?

Pilz: Beamte, also die Vertreter der Exekutive, haben bei uns die totale Übermacht. Und die Parteien fragen noch immer, welche Beamten „zu ihnen“ gehören und wie diese Beamten bei der Herstellung des Machtanspruchs behilflich sein können. Das hat historische Gründe: Das Rote Wien der 30er-Jahre hat sich in der Defensive genauso seines Exekutivapparats bedient wie die Schwarzen in der Offensive. Selbst Bruno Kreisky, der große Gesellschaftsreformer, änderte diese Zustände nicht. Er erneuerte das Land im Familienrecht, im Strafrecht, in der Wissenschaft. Doch eine Staatsreform war ihm nicht wichtig. Die Unabhängigkeit der Justiz hat er nicht gewollt, den Parlamentarismus hat er nicht gestärkt.

Hatte er auch Angst vor reaktionären Richtern, die er politisch kontrollieren wollte?

Pilz: Ja, das war wohl mit ein Grund. Aber keine Entschuldigung. Denn vor Freiheit braucht man sich nicht zu fürchten. Es waren die falschen Sorgen über eine freie Justiz. Mehr Freiheit muss man aushalten. Eine Freiheit der Selbstbewussten muss man fördern. Die, die auf der Seite der Freiheit standen und stehen, haben aber zu wenig Selbstbewusstsein, weil ihnen die österreichische Geschichte so selten Recht gegeben hat. Die Linke hat keine Konfliktbereitschaft. Nur die Rechte ist willens, Konflikte zu führen.

Wieso ist das so?

Pilz: Das führt uns zu viel größeren politischen Fragen. Seit 30 Jahren ist die Linke in der Defensive. Sie hat seit dem Fall der Berliner Mauer der großen, gefährlichen Idee des Neoliberalismus keine große eigene Idee entgegensetzen können. Wir Grünen haben eine große Idee in die Politik eingeführt: die Ökologie. Aber jetzt geht es wieder um eine große Antwort, einen Gegenentwurf zum Neoliberalismus. Jetzt geht es um eine europäische Alternative zum Finanzkapitalismus, um die Neubegründung des Sozialstaats und um Demokratie auf allen Ebenen statt autoritärer Regimes von IWF bis Merkozy. Das ist jetzt unsere Hauptaufgabe. Und das nimmt uns niemand ab.

In Deutschland sind die Grünen immerhin erfolgreich.

Pilz: Auch die Grünen in Deutschland haben noch keinen Gegenentwurf zustandegebracht.

Wir leben nicht mehr in der Zeit „großer Entwürfe“.

Pilz: Aber wir steuern wieder dorthin. Ein großer Teil der Bevölkerung hat das Gefühl, das sich alles ändern muss. Es gibt diese „Schluss jetzt!“-Stimmung. Es gibt die Gefahr eines Systemzusammenbruchs. Österreich und Europa bieten aber keine Antwort. Unsere erfolgreiche Korruptionsbekämpfung ist hier wichtig, aber die große Gerechtigkeitsfrage, die Antwort auf die Frage, wer für die Krise zahlt und wer kassiert – da spielen wir im Gegensatz zur Korruptionsbekämpfung immer noch keine Hauptrolle. Wir sind die einzige Partei, der vertraut wird. Aber wir sind noch nicht die Partei, der die große Kursänderung zugetraut wird.

Momentan gibt nur die FPÖ eine Antwort. Sie lautet: zurück in den nationalen Sozialismus. Die FPÖ steht sogar als Sauberkeitspartei da.

Pilz: Die FPÖ ist so lange alternativlos, solange es zu ihr keine Alternative gibt. Und es gibt noch immer keine grüne Alternative zur FPÖ.

Woran scheitern die Grünen? An Eva Glawischnig? An den „Silberrücken“?

Pilz: Es ist ein Problem unserer gemeinsamen Politik, vom Bundesvorstand abwärts, in dem ich selbst sitze. Es hilft uns nichts, uns über unsere steigenden Umfragewerte zu freuen. Eine schwarz-blaue Mehrheit werden wir in dem Tempo bis 2013 nicht verhindern können. Wir müssen selbst um die „kleinen Leute“ kämpfen, weil wir uns nicht auf die Sozis verlassen können. Bis die Sozis eine neue Antwort geben, geh ich mit Krückstock durch Wien. Wenn wir warten, bis Faymann die Bundeskanzlerlehre abgeschlossen hat, werden wir alt.

Vielleicht haben sich die Grünen zu lange in den korrekten Gebrauch des Binnen-I verstrickt?

Pilz: Das ist ja schon lange her. Wir sind aus unseren Themennischen Ökologie, Feminismus und Anti-Militarismus raus und haben mit Van der Bellen wirtschaftspolitisch aufgerüstet. Wir galten als regierungsfähig, wurden aber auf einmal kantenlos. Nun müssen wir uns überlegen, wie man einen Regierungswechsel erkämpft. Wir wissen: Sich einfach nur als Braut zu schmücken, ist zu wenig. Wir sind in der Frage der Korruptionsbekämpfung erfolgreich und glaubwürdig. Aber die FPÖ führt in der Frage der Gerechtigkeit und der Vertretung der „kleinen Leute“. Hier haben wir schlicht zu wenig getan.

Also ein linkes Bündnis mit der SPÖ gegen die rechte Reichshälfte?

Pilz: Da lachen doch alle. Wenn wir uns an Faymann anlehnen, fallen wir mit ihm um. Wir müssen uns selbst aufstellen. Wenn sich die ÖVP mit Strache verlobt, dann wird die Partei einen großen Preis bezahlen – vielleicht auch die Spaltung riskieren. Ich will keinen Lagerwahlkampf. Aber wenn die ÖVP einen führen will, dann stehen wir eben auf der anderen Seite. Dann gibt es vielleicht keine Kanzlerwahl, sondern eine Wahl zwischen zwei Alternativen.

Wenn wir über Korruption reden, dürfen die Medien nicht ausbleiben. Haben die versagt?

Pilz: Profil, Format und Falter haben seit dem Jahr 2003 über Grasser und Freunde geschrieben. Der investigative Journalismus hat überhaupt nicht versagt.

Aber der Boulevard verschweigt die Missstände.

Pilz: Das ist in der Tat eine Schande. Im Fall Hochegger versagt aber nicht nur der Regierungsinserateboulevard, sondern auch Standard und Presse. Auch diese Blätter vermischen echte Vorwürfe und das Dreckschleudern des Hochegger.

Gab es seitens des Boulevards auch Druck?

Pilz: Wolfgang Fellner (Herausgeber von Österreich, Anm.) hat es versucht. Und weil das einzige Mittel gegen Druck die Öffentlichkeit ist, erzähle ich auch gerne, wie er mich einmal anrief und fragte, wie viele Inserate die Grünen schalten werden. Er bot mir dafür umfassende Berichterstattung im Wahlkampf an. Er bekam keinen Cent von uns.

Wolfgang Fellner bestreitet vehement, Sie unter Druck gesetzt zu haben.

Pilz: Ein zweites Mal wollte er mich unter Druck setzen, als Christoph Chorherr Auflagen für Privatradios wollte. Wieder gaben wir nicht nach. Die Lehre: Wenn Leute wie Fellner bemerken, dass sie einen nicht unter Druck setzen können, nehmen sie das zur Kenntnis und wechseln ansatzlos zurück in ihre Herausgeberrolle.

Kommen wir zum Korruptionsvolksbegehren. Welche Forderungen erheben Sie?

Pilz: Die Wahlkampfkosten sind zu beschränken. Illegale Parteifinanzierung muss strafbar werden. Bei rechtswidrigen Spenden – Spendenwäsche – ist die dreifache Summe zurückzuzahlen und eine Freiheitsstrafe zu verhängen. Ich will ein Verbot der Parteispenden von öffentlichen Unternehmen und jenen, die sich öffentliche Aufträge erwarten.

Das trifft natürlich viele.

Pilz: Ja, Haselsteiner, Porr, EADS, Siemens und so weiter. Umgekehrt darf die Parteienfinanzierung nicht heruntergefahren werden, Parteien brauchen Geld. Auch die Spendenwäsche – ein Unternehmen spendet an die IV oder den ÖGB und die leiten das Geld weiter – muss verboten werden. Wahlkampfkosten müssen offengelegt und beschränkt werden. Auch der Amtsträgerbegriff muss anders gefasst werden – Bürgermeister und Manager von teilstaatlichen Unternehmen müssen darunterfallen.

Was ist mit der Parteibuchwirtschaft?

Pilz: Sie muss strafbar werden. Wenn die Parteimitgliedschaft nachweislich eine entscheidende Rolle bei der Bestellung spielt, siehe Strasser-E-Mails, dann soll das strafbar sein. Weiters muss der U-Ausschuss ein Minderheitenrecht werden. Das ist mein Paket. Wenn es nicht umgesetzt wird, machen wir ein Volksbegehren. Dann mobilisieren wir die Anständigen und Tüchtigen gegen die Abgängigen und Flüchtigen. Das wird die friedlichste Jagdgesellschaft der Zweiten Republik.

Haben Sie schon einmal gejagt?

Pilz: Nein, ich bin Fischer. Die Jäger gehen immer in Rudeln. Ich mag nur Fische um mich. Die Kultur und die Codes der Jäger sind völlig konservativ geprägt. Das liberale Jägertum ist noch nicht erfunden. Es ist kein Zufall, dass das Sauschädelessen bei Raiffeisen-General Konrad der Höhepunkt der Saison ist. Vor dem Pult von Kanzler und Vizekanzler sollte ein Sauschädel stehen, damit man weiß, wer das Land wirklich regiert.

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