Nur ein geringer Anteil des Weltenergieverbrauchs wird heute durch die Atomkraft abgedeckt. Die meisten Reaktoren sind über zwanzig Jahre alt, und kaum ein neues Kraftwerk nutzt die Kernenergie. Überdies zeigt sich an den Konflikten mit Iran und Nordkorea, wie schwer die scharfe Abgrenzung zwischen ziviler und militärischer Nutzung der Atomenergie ist.
Am 26. April 1986 bläst die Explosion im Reaktorblock 7 des Atomkraftwerks Tschernobyl eine radioaktive Wolke in die Luft, die um den halben Globus zieht. Mehr als 400.000 Personen werden schließlich evakuiert. Zahlreiche Länder erlassen strikte Vorschriften für ihre Landwirtschaft, lassen Nutztiere töten und Ernten vernichten. Noch 2006 sind in Großbritannien, mehr als 2.500 Kilometer vom Unglücksort entfernt, 374 Bauernhöfe und gut 75.000 Hektar Weideland von Einschränkungen betroffen.
Unfall im japanischen Tokaimura im Jahre 1999 ließ zwei Menschen auf grausame Weise sterben und verstrahlte mehrere hundert Anwohner. Am 9. August 1945 tötete die Spaltung von etwa einem Kilogramm Plutonium in 500 Meter Höhe über der Stadt Nagasaki auf einen Schlag 74.000 Menschen und verletzte ebenso viele, von den Langzeitfolgen ganz zu schweigen.
Zwar hat die Atomtechnologie von Anfang an militärischen Zwecken gedient, doch die größten Mengen an radioaktivem und waffenfähigem Material fallen heute bei der so genannten zivilen Nutzung an. Jede zivile Atomanlage kann ein militärisches Angriffsziel werden, zumal das technische Know-how weit verbreitet ist. Dies hat dazu geführt, dass die Nuklearprogramme von Ländern wie Iran und Nordkorea die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit auf sich ziehen.
Als Energieträger spielt die Kernkraft im Weltmaßstab eine eher bescheidene und tendenziell schwindende Rolle. Wenn man die Transformations- und Leistungsverluste beim Strom einrechnet, deckt die Atomkraft keine 2 Prozent des Energiebedarfs. Anfang 2006 lieferten die in einunddreißig Ländern betriebenen 443 Reaktoren weltweit 16 Prozent der verkauften Elektrizität und 6 Prozent der Primärenergie. Drei Viertel des Atomstroms stammen aus den sechs wichtigsten Erzeugerländern USA, Frankreich, Japan, Deutschland, Russland und Südkorea. Innerhalb der Europäischen Union entfallen davon allein 45 Prozent auf Frankreich, wo 75 Prozent der Stromerzeugung aus Kernkraftwerken stammen.
Sofern nicht erhebliche technische Fortschritte gemacht werden, wird die Situation so bleiben. Selbst wenn die Laufzeit der Reaktoren auf vierzig Jahre verlängert würde, müssten, bloß um Ersatz für die abzuschaltenden Reaktoren zu schaffen und ihre Leistung zu erhalten, in den kommenden zehn Jahren etwa 80 Reaktorenblöcke ans Netz gehen (ein Block alle eineinhalb Monate) und weitere 200 in den zehn Jahren darauf (ein Block alle achtzehn Tage).
Laut Internationaler Atomenergiebehörde (IAEA) waren im Mai 2006 weltweit 27 Atomreaktoren im Bau. Gleichzeitig haben sich Deutschland (17 Reaktoren) Belgien (7 Reaktoren) und Schweden (10 Reaktoren) für den völligen Ausstieg aus der Atomenergie entschieden.
Einige radioaktive Stoffe. Namentlich Plutonium und hochangereichertes Uran, werden sowohl zivil genutzt als auch zum Bau von Sprengköpfen verwendet. Zwischen zivil und militärisch einen Unterschied zu machen ist technisch gesehen wenig sinnvoll. Oft ist es nur ein Vorwand, um das Verbot der Weiterverbreitung von Atomwaffen zu umgehen. In allen Ländern, die Atombomben besitzen, hat die Entwicklung der Waffen vom zivilen Sektor profitiert und umgekehrt. Wenn einerseits die Kernkraft als Energiequelle nur eine untergeordnete Rolle spielt, so wird sie andererseits zur wachsenden Bedrohung durch das strategische Potenzial des eingesetzten Materials und das mit ihm verbundene Risiko eines militärischen oder terroristischen Angriffs. Heute sind weltweit mehr als 230 Tonnen so genanntes ziviles Plutonium eingelagert, Tendenz steigend. Das ist mindestens die doppelte Menge dessen, was in den rund 30.000 gemeldeten Atomsprengköpfen enthalten ist.
Im Atomwaffensperrvertrag, den mittlerweile insgesamt 189 Staaten unterzeichnet haben, verpflichten sich die fünf offiziellen Atommächte China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA, einen Vertrag über die allgemeine und vollständige atomare Abrüstung auszuhandeln. Doch alle diese Staaten entwickeln fortwährend neue Waffen. Wohl haben die Vereinigten Staaten und Russland die Zahl ihrer Sprengköpfe verringert, doch abgerüstet wurden praktisch in erster Linie solche Waffen, die als veraltet gelten. Zu einer wirklichen Abrüstungsinitiative kann es erst kommen, wenn wieder über ein Verbot der Herstellung von hochangereichertem Uran verhandelt wird.
Quelle: Atlas der Globalisierung/Le Monde diplomatique/Originalausgabe 2006/ISBN: 3-937683-13-3/Internet: www.monde-diplomatique.de
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