Wollt ihr den totalen Markt!?


Mit TTIP bzw. TAFTA blasen die Konzerne lautlos zur finalen Attacke.
Ein Aufruf zum Widerstand





Im August 1997 ging ein Brief durch die Weltpresse. Subcommandante Marcos schrieb aus Chiapas im Südosten Mexikos. Er sieht unseren Planeten heute als Schlachtfeld eines vierten Weltkrieges (der Dritte war der sogenannte Kalte Krieg). Das Ziel der kriegsführenden Parteien ist die Unterwerfung der gesamten Welt unter den Markt. Die Waffenlager bestehen aus Finanzmitteln (und Paragrafen), und doch werden in jedem Augenblick Millionen von Menschen verstümmelt oder getötet. Ziel der kämpfenden Parteien ist es, den Globus von neuen, abstrakten Machtzentralen aus zu beherrschen – Megazentren des Marktes, die keiner anderen Kontrolle unterliegen als der Logik der Investition.  John Berger gegen die Abwertung der Welt


Gewalt wird angewendet, um einen anderen zu unterwerfen, ihm den eigenen Willen aufzuzwingen, ihn sich gefügig zu machen. Militärische Gewalt, man kann auch Krieg dazu sagen, dient demselben Zweck: der Durchsetzung eigener Interessen, aber in größerem Maßstab. Rohe Gewalt und ihre durchorganisierte Steigerung im Militär sind für jedermann leicht zu erkennen und leicht zu verstehen. Gehorche mir, tu, was ich dir befehle, gib mir, was ich haben möchte, oder ich bring dich um.
Nun gibt es alllerdings auch Formen von Gewalt, die genauso brutal, genauso mörderisch sind, die aber vordergründlich viel freundlicher daherkommen, die versteckt sind hinter Paragrafen oder hinter abstrakten, schwer verständlichen, aber scheinbar harmlosen Begriffen, Begriffen wie zum Beispiel: „Freihandel“.



Seit Juli 2013 finden Verhandlungen statt zwischen der EU und den USA. Da geht es um ein sogenanntes „Freihandelsabkommen“. Der offizielle Name des Projektes lautet „Transatlantic Trade and Investment Partnership“, abgekürtzt: TTIP. Ziel ist es, bis Ende 2014 ein Abkommen zu unterzeichnen, das eine transatlantische „Freihandelszone“ begründen soll, eine „Transatlantic Free Trade Area“, abgekürtzt: TAFTA.

Im Kern geht es bei diesem Abkommen um eine verschärfte Form des „Multilateralen Abkommens über Investitionen“ (MAI), das 1998, nachdem der Inhalt des Abkommens bekannt geworden war, durch den Widerstand der Öffentlichkeit und der Parlamente zu Fall gebracht wurde. Beim TTIP-Abkommen geht es nun wieder darum, die Privilegien von Konzernen abzusichern und gegenüber dem gescheiterten MAI sogar noch auszuweiten. Große Konzerne, Vereinigungen privater Geschäftemacher, sollen ein direktes Klagerecht gegen Staaten erhalten, der Schutz von Konzerninvestitionen kann dadurch höher gewichtet werden als Gesetze zum Schutz von Mensch und Umwelt. Das bedeutet unter anderem, dass Unternehmen Regierungen darauf verklagen können, „entgangene Gewinne“ aus Steuergeldern auszugleichen. Sind z. B. in einem Land Gentechnik, Chlorhünchen, Hormonschweine oder ähnliche Leckerbissen verboten, können die Konzerne auf milliardenschweren Schadenersatz klagen und Regierungen zwingen, erreichte Standards zu verschlechtern und die staatliche Gesetzgebung den Wünschen der Konzerne anzupassen. Mit TTIP könnten Konzerne aber nicht nur „handelsbezogene Bestimmungen“ sondern nahezu alle Gesetze und Regelungen unter Beschuss nehmen. Alles geriete ins Rutschen: Klimaschutz, Energiewende, Umwelt- und Sozialgesetze, Bildung, öffentliche Dienste, Daseinsvorsorge, Arbeitszeiten, Mindestlöhne, Banken- und Finanzmarktregulierungen, Lebensmittel- und Produktsicherheit, diverse Kennzeichnungspflichten, Datenschutz u. v. m. Kurz, das TTIP-Abkommen würde die nationalen Regierungen bis hinunter auf Gemeindeebene zwingen, ihre aktuelle und künftige Politik dem Wirtschaftsvölkerrecht und konkret dem Investitionsschutz zu unterwerfen. Praktisch bedeutet das Abschaffung der Demokratie und Entmachtung der Parlamente.



Trümmer schaffen ohne Waffen!

Vor welchem Gericht aber werden Konzerne klagen, wenn sie sich beim Profitmachen durch demokratische Gesetze zum Schutz von Mensch und Umwelt gestört fühlen? Ein Kernstück des TTIP ist – wie auch schon in der WTO – eine alte neoliberalte Lieblingsidee: mit Schiedsgerichten soll da eine eigene globale Konzern-Rechtssprechung etabliert werden. Diese Schlichtungskammern bestehen aus jeweils drei Juristen, die normalerweise für den privaten Sektor arbeiten, viele von ihnen sind in ihrem normalen Berufsleben Anwälte von Unternehmen, die gegen Regierungen klagen. Die Verhandlungen dieser Schiedsgerichte sind – Sie ahnen es bereits: nicht öffentlich, praktischerweise gibt es auch keine Berufungsmöglichkeit und die Entscheidungen sind verbindlich. Damit löst sich zugleich eine der Säulen unserer Zivilisation, der demokratische Rechtsstaat, in Luft auf.



Da so einem Wahnsinn kein normal denkender Mensch zustimmen würde, finden die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen statt. „Damit wird gewährleistet, dass jenseits des geschlossenen Zirkels der >Handelspolitiker< niemand bei Zeiten mitbekommt, was tatsächlich auf dem Spiel steht“, sagt Lori Wallach von der weltweit größten Verbraucherschutzorganisation „Public Citizen’s Global Trade Watch“ mit Sitz in Washington D. C. „Andererseits haben 600 offizielle Berater der Großkonzerne priveligierten Zugang zu den Dokumenten und zu den Entscheidungsträgern.“ Lori Wallach vergleicht das Abkommen mit „dem Monster aus einem Horrorfilm, das durch nichts totzukriegen ist. Einmal in Kraft, wäre es bindend, weil jede einzelne Bestimmung nur mit Zustimmung sämtlicher Unterzeichnerstaaten geändert werden kann.“



Es gibt offenbar Politiker, in Europa allen voran die EU-Kommission, die so etwas allen Ernstes verhandeln. Die bereit sind, Sozial- und Umweltstandards zugunsten privater Profitinteressen nach unten zu nivellieren; die auch bereit sind, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit der Totalwerdung des Marktes zu opfern. Und es gibt leider auch allzu viele Abgeordnete, die keineswegs empört darüber sind, dass auch sie nicht informiert werden. „Wir müssen also sehen“, heißt es bei Platon, „was für Leute sich dafür ausgeben, Staatsmänner zu sein, es aber keineswegs sind.“  Moreau



MOREAU

brennstoff-Chefredakteur, lebt und arbeitet in Irding in der Steiermark, ist Grafiker, Bürgerinitiativengründer und Initiator von hochkarätig besetzten Dialogprojekten, die sich mit unterschiedlichsten gesellschafts- und sozialpolitischen Themen sowie mit Fragen zu Ökologie und ganzheitlichem Denken auseinandersetzen.

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