Mehr Mitbestimmung gewünscht

Die Österreicher wünschen sich mehr direkte Mitbestimmungsmöglichkeiten, vor allem die Regierungsparteien zieren sich. Eine Umfrage zeigt, dass der Wunsch nach direkter Demokratie auch eine Kritik am repräsentativen Parteiensystem ist

Volksbefragung, Volksbegehren, Volksabstimmung - mit diesen drei Instrumenten kennt die österreichische Rechtsordnung seit Jahrzehnten mehr Elemente der direkten Demokratie als viele andere Länder. In Deutschland hatte man beispielsweise nach den Erfahrungen mit dem Naziregime Sorgen vor populistischer Manipulation des Wahlvolks und errichtete größere Hürden - während andererseits in der Schweiz Gesetzesinitiativen durch das Volk die Regel sind.
Die Österreicher würden sich viel mehr direkte Demokratie wünschen, weiß der Meinungsforscher Werner Beutelmeyer, der im Vorjahr die Einstellung zu direktdemokratischen Elementen der Gesetzgebung erhoben hat. Sein Market-Institut fragte: "Die Schweiz ist ja bekannt für ihre direkte Demokratie. Glauben Sie, dass dieser starke Einfluss auf politische Fragen und Gesetze, den die Schweizer haben, die politischen Ergebnisse der Schweiz verbessert, oder glauben Sie, dass nicht?" Darauf sagten 56 Prozent, dass das Schweizer Modell bessere Ergebnisse brächte, nur drei Prozent glauben an eine Verschlechterung. 29 Prozent glauben, dass sich wenig an der Qualität der Gesetzgebung ändert. (13 Prozent machten keine Angaben.)
Und wie würde sich das in Österreich auswirken? Mehr Volksbefragungen und mehr Volksabstimmungen würden nach Ansicht von 54 Prozent der österreichischen Wahlberechtigten die Qualität der Gesetzgebung "eher schon verbessern", 15 Prozent erwarten sogar eine starke Verbesserung. Wobei die Erwartungen in der mittleren Bildungsschicht am höchsten sind und mit dem Alter der Befragten ansteigen.

Enttäuschte Unterzeichner
Wunderdinge dürfe man sich allerdings nicht erwarten, meint Daniela Musiol. Die Abgeordnete der Grünen, die das Demokratiereformpaket ihrer Partei erarbeitet hat, hat dabei mit vielen Vertretern von Bürgerinitiativen gesprochen - "und da sagen dann viele: Ich habe schon so oft und bei so vielen Volksbegehren unterschrieben, es ist aber nie etwas dabei herausgekommen." Bürgerbeteiligung, die die Bürger enttäuscht, könne eher kontraproduktiv für das Vertrauen in die Demokratie sein, sagt Musiol.
Tatsächlich haben ja nur Volksabstimmungen verbindliche Wirkung - und die gibt es derzeit nur, wenn der Nationalrat ein Gesetz beschließt und gleichzeitig festlegt, dass dieses Gesetz nur nach einer positiven Volksabstimmung in Kraft treten kann. Verpflichtend vorgesehen sind solche Volksabstimmungen in Österreich aber nur bei einer Gesamtänderung der Bundesverfassung - wie beim EU-Beitritt, der EU-Recht in zwingendes nationales Recht umgewandelt hat - und wenn der Bundespräsident vor Ablauf seiner regulären Amtszeit abgesetzt werden soll (Art. 60 Abs. 6 Bundesverfassungsgesetz).
Volksabstimmungen sind also - wie Volksbefragungen - vor allem Instrumente der parlamentarischen Mehrheiten. Wobei Volksabstimmungen immerhin mit ihrem Ergebnis bindend sind. Das Volksbefragungsgesetz von 1989 kennt eine solche Bindung an ein Ergebnis nicht - und das Gesetz ist auch noch nie angewendet worden: Volksbefragungen gab es bisher nur in einzelnen Bundesländern.
Alle Oppositionsparteien sind dafür, dass eine gewisse Zahl von Bürgern eine Volksabstimmung erzwingen können soll - indem sie einem Volksbegehren die Unterschrift geben. Wobei die Volksabstimmung eher als Joker gelten würde: Wenn eine Volksabstimmung droht, dann hätten die Proponenten des Volksbegehrens eine entsprechende Verhandlungsmacht, im Parlament ein dem Sinn des Volksbegehrens entsprechendes Gesetz auszuhandeln. Derzeit sind solche Verhandlungen eher wenig erfolgreich, wie etwa das Bildungsvolksbegehren zeigt.
Die Market-Umfrage zeigt: 65 Prozent meinen, dass durch mehr Mitbestimmung das Interesse an Politik insgesamt steigen würde.
58 Prozent nennen die Schweiz (wo bei Volksinitiativen eine objektive staatliche Information über das Anliegen erfolgt) für ein geeignetes Vorbild.

Kritik am Wahlsystem
Und warum setzt man das nicht um? Market stellte auch diese Frage - die Antworten werden in der Grafik oben dargestellt.
Dabei zeigt sich die grundsätzliche Kritik am etablierten repräsentativen Wahlsystem, das für starke Gesinnungsgemeinschaften geschaffen wurde. "Diese werden jetzt aber als Parteiapparate, die nur dem Selbstzweck dienen, erlebt", sagt Market-Chef Beutelmeyer: 73 Prozent sehen als größtes Hindernis der direkten Demokratie, dass Parteien ihre Macht nicht teilen wollen. 

(Conrad Seidl, DER STANDARD, 6.7.2012)

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