Liebe Mitbürger, die Sitzungen der Stadtvertretung sind durchwegs öffentlich. Kommt herbei, nehmt teil.
Was uns Alle angeht:
Souverän werden
„Jedes nicht vom Volk persönlich ratifizierte Gesetz ist
nichtig, es ist kein Gesetz“, postulierte Jean-Jaques Rousseau. Christian
Felber plädiert für dezentrale Konvente als Start-Element einer „echten“
Demokratisierung.
Ist jemand NICHT politikverdrossen im Land? Vermutlich sind wir es alle. Gründe dafür gibt es
genügend: Die Wahl einer Partei alle vier oder fünf Jahre stellt keine
ernsthafte Beteiligungsmöglichkeit in der Demokratie dar. Es handelt sich um
die komplexeste aller möglichen Fragestellungen und damit gleichzeitig um die
unpräziseste. Parteien sind für alle Themen zuständig, aber undemokratisch
organisiert und hierarchisch aufgebaut. Seilschaften, Financiers und Lobbies
bestimmen den Kurs, die politischen, ökonomischen und medialen Eliten sind
bestens miteinander vernetzt. Im Ergebnis führen Regierungen und Parlamente in
vielen Bereichen eine Agenda gegen das „Volk“: Heranzüchtung systemrelevanter
Banken, Rettung mit Steuergeld, freier Kapitalverkehr in Steueroasen, Sparprogramme
für die Massen, Bankenunion, Beschneidung der Bürgerrechte, Überwachung, TTIP,
...
Dass die vorgeblich
repräsentative Demokratie in einer tiefen Krise steckt, ist ein offenes
Geheimnis. Doch zu einem Herrschaftsverhältnis gehören immer zwei: Eine Seite,
die Macht missbraucht, und eine andere, die dieses Unrecht duldet und zuwenig
dagegen unternimmt. Souveränität ist die Essenz der Demokratie,
doch die meisten von uns kennen nicht einmal den Ursprung des Wortes: Das
lateinische „superanus“ bedeutet „über allem stehend“. Die konsequente
Umsetzung käme einer „Revolution“ in der Demokratie gleich. Denn wenn die
Bevölkerung tatsächlich „über allem“ also über der Regierung, über dem
Parlament und über der Verfassung stünde, dann könnte sie sich selbst mit einer
Reihe „souveräner Grundrechte“ ausstatten. „Die SouveränIn“ könnte bestimmen:
1. Wie oft gewählt wird
2. Ob Parteien oder andere Formen der Repräsentation gewählt
werden.
3. Eine bestimmte Regierungskonstellation.
4. Die Abwahl der Regierung, die Auflösung des Nationalrates
und Neuwahlen.
5. Den Stopp oder die Korrektur eines Gesetzesvorhabens des
Parlaments.
6. Die Initiierung eines Gesetzes und dessen Verabschiedung
per Volksabstimmung.
7. Die direkte Übernahme eines Grundversorgungsbereiches wie
zum Beispiel Wasser, Energie oder Geld.
8. Die Abänderung der Verfassung und die Einsetzung eines
Verfassungskonvents.
Von diesen acht möglichen „Grundrechten“ genießen die
Souveräne in Deutschland oder Österreich derzeit kein einziges: Die Souveräne
sind politisch impotent! Darüber verdrossen zu sein ist wahrlich keine Kunst.
Wer aber soll den Demokratie-Prototyp, der in Deutschland und Österreich noch keine
hundert Jahre gedient hat, durch Modell 2.0 ersetzen? Das Parlament? Die
Regierung? Ein WeisInnenrat? Politisch erwachsen – souverän – werden heißt: Der
Souverän muss selbst Verantwortung übernehmen und ins Gestalten gehen. Der
Souverän, die SouveränIn sind wir alle. Ergo müssen wir selbst die neuen
Spielregeln entwickeln. Bisher taten das stets andere für uns: die Könige und
Kaiser, die Kirche, mehr oder weniger gewählte Vertretungen.
Die österreichische Bundesverfassung wurde am 1. Oktober
1920 von der Konstituierenden Nationalversammlung beschlossen, das Grundgesetz
am 8. Mai 1949 vom „Parlamentarischen Rat“, der von den Landesparlamenten
gewählt worden war und von den Alliierten genehmigt wurde. Dem angeblich
demokratischen Souverän wurden bisher stets die Regeln anderer vorgesetzt.
Souverän werden heißt,
die kindliche Wärmestube der „repräsentativen“ Demokratie zu verlassen und sich
mit anderen freien Menschen zusammenschließen zu einer breiten
BürgerInnen-Bewegung für die Vertiefung der Demokratie bis hin zu echter
Souveränität. Der erste Schritt zum Ziel könnte die Organisation von
dezentralen Themenkonventen, zum Beispiel „kommunalen Wirtschaftskonventen“
sein (siehe Kasten).
Der „Krönungskonvent“ ist der Verfassungskonvent. In diesem
legt der Souverän die Spielregeln für das demokratische Gemeinwesen fest und
verleiht sich selbst seine Grundrechte, die im bisher von anderen gewährt,
überwiegend aber vorenthalten wurden. Von echter Demokratie kann man erst
sprechen, wenn die Regeln vom Volk gemacht werden. Gewaltenteilung erfordert,
dass die politische Potenz bei der SouveränIn bleibt und Parlament und
Regierung nur einen Arbeitsauftrag erhalten, den souveränen Grundsatz-Willen im
Detail auszuführen. Der demokratische Verfassungskonvent könnte durch direkte
Wahl der Mitglieder oder über ein stufenweises Deligationsverfahren von der
kommunalen Ebene ausgehend konstituiert werden. Der finale Entwurf, durchaus
mit Varianten, würde von der gesamten Bevölkerung demokratisch abgestimmt.
Wollen wir den Demokratie-Verdruss loswerden, sollten wir uns keine geringere
Freiheit nehmen als diese. Christian
Felber
Der Kommunale Geld- oder Wirtschaftskonvent
Die im Oktober 2010 geborene und seither international stark
wachsende Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung hat 20 Vorschläge für eine alternative
Wirtschaftsordnung entwickelt. Die politische Strategie der Bewegung ist, dass
die wichtigsten Fragestellungen einer Wirtschaftsordnung – Werte und Ziele des
Wirtschaftens, Erfolgsmessung, Marktordnung, Arbeitszeit, Ungleichheit,
Eigentumsformen, Ökologie, soziale Sicherheit, ... demokratisch diskutiert und
beschlossen werden: in „kommunalen Wirtschaftskonventen“. Die Ergebnisse
könnten in höhere Konvente einfließen, bis zum „Nationalen Wirtschaftskonvent“,
der den Entwurf einer ersten demokratischen Wirtschaftsverfassung ausarbeiten
würde, über den die Bevölkerung abstimmt. Ergebnis wäre ein
„Wirtschaftsverfassungsteil“, der dem Parlament als demokratisch legitimierte
Gesetzgebungsgrundlage dient.
Die Organisation eines „kommunalen Wirtschaftskonvents“ ist
eines von mehreren Projekten einer Gemeinwohl-Gemeinde. Anfang 2014 gab es
bereits sechs Gemeinwohl-Gemeinden in Spanien und Italien, mehrere Dutzend
haben Inetresse: von Weiz bis Lech, von Pfaffenhofen an der Ilm bis Dornach in
der Schweiz, von Veracruz (Mexiko) bis Chacao (Venezuela). Voraussichtlich
werden noch 2014 die ersten Konvente starten. Christian Felber
Christian Felber ist freier Publizist, Tänzer und
Mitbegründer von Attac Österreich, Lektor an der Wirtschaftsuniversität Wien
und Gründer der Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung sowie Mitinitiator des Projekts
„Bank für Gemeinwohl“. Internationale Vortragstätigkeit, zahlreiche
Publikationen. Am 17. März 2013 erscheint Christian Felbers jüngetes Werk:
„Geld. Die neuen Spielregeln“
Lese-Tipp Christian Felber Die Gemeinwohl-Ökonomie Deuticke,
Wien 2012
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen