Hohenems / Der Rattenfänger

Dr. Charles E. Ritterband
 
Das jüdische Viertel in Hohenems gilt weit über die Landesgrenzen hinaus als eines der wenigen so lückenlos erhalten gebliebenen Ensembles mit jüdischer Geschichte. Damit besitzt Hohenems ein bedeutsames Kulturerbe.“ Diese Information entnehmen wir der offiziellen Website der Stadt Hohenems. Das jüdische Viertel wurde im Jahr 1996 durch das Bundesdenkmalamt unter Schutz gestellt.
Erhalten geblieben sind dort sämtliche Bauwerke, die religiösen oder sozialen Zwecken dienten: Wohnhäuser der alteingesessenen jüdischen Familien, die einstige, 2003 renovierte Synagoge, das Ritualbad („Mikwe“), das Armen- und Altenhaus und das frühere Schulhaus. Am Stadtrand liegt der vorbildlich instand gehaltene jüdische Friedhof. Aus Hohenems stammte der Kantor und Komponist von Weltrang, Salomon Sulzer (1804–1890), der die jüdische Liturgie nachhaltig reformierte. Die jüdische Gemeinschaft in Hohenems ging zurück auf das Jahr 1617. Sie endete 1942 mit der Deportation der letzten Jüdin aus Hohenems nach Theresienstadt.


Hohenems ist stolz auf sein jüdisches Viertel und das jüdische Museum, zweifellos das beste im Land.


Hohenems ist stolz auf sein jüdisches Viertel und das jüdische Museum, zweifellos das beste im Land. Zahlreiche Besucher aus dem In- und Ausland kommen das ganze Jahr über nach Hohenems, um das jüdische Viertel und die Ausstellungen im Museum zu besuchen. Und dennoch: Dieter Egger, der Chef der Vorarlberger Freiheitlichen, konnte am vergangenen Sonntag den Prozentsatz der FPÖ-Wähler von 22 auf 42 Prozent fast verdoppeln, die Anzahl der Mandate von sieben auf 16 steigern.


Dem Schweizer Beobachter aus dem fernen Wien sind die Einzelheiten der Hohenemser Lokalpolitik nicht geläufig. Diese darzustellen und zu analysieren bleibt den Vorarlberger Kollegen überlassen. Was sich allerdings sogar aus der Perspektive des Fernen Ostens (Österreichs) feststellen lässt: Die Sache geht nicht auf. Da preisen die Hohenemser voll Stolz auf ihrer Website ihr jüdisches Viertel, dieses kulturelle Juwel, das ihnen weltweit Ruhm, Prestige und harte Touristen-Euros einbringt, und an den Urnen geben sie zugleich ihre Stimme einem Mann, der – wie in Hohenems jeder weiß – im vorletzten Landtags-Wahlkampf im September 2009 mit seinem alle gängigen antisemitischen Klischees bedienenden Spruch („Exil-Jude aus Amerika mit seinem hochsubventionierten Museum“) auf Stimmenfang ging. Entschuldigt hat er sich bis heute nicht bei dem, der damit gemeint war: Hanno Loewy, Direktor des jüdischen Museums Hohenems.


Die Hohenemser, die am Sonntag, 29. März, bei der Stichwahl Gelegenheit erhalten, sich die Sache vielleicht doch nochmals zu überlegen, werden eine grundsätzliche Entscheidung treffen müssen – zwischen dem berechtigten Stolz auf ihre bedeutenden jüdischen Kulturgüter und der (für einen Außenstehenden nicht völlig nachvollziehbaren) Versuchung, blindlings einem Rattenfänger namens Egger nachzulaufen.


Dr. Charles E. Ritterband ist Journalist und Autor sowie langjähriger Auslandskorrespondent der Neuen Zürcher Zeitung (seit 2001 in Wien).

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