Türen gehen auf 30


Briefe an die Bewohner/innen einer Stadt

Von Gabriele Bösch

Wie viel Lärm macht eine Buchsbaumhecke?

Das ist eine Frage, die ich letzte Woche in mein Notizbuch geschrieben habe. Die Hecke wird gekärchert, um den Buchsbaumzünsler zu entfernen - seine Larven oder seine Raupen; so genau weiß ich das nicht, ich beobachte nur. Später wird die Hecke gespritzt.

Irgendwann wird sie mit der elektrischen Heckenschere geschnitten. Das zu Boden fallende Laub wird mit dem Laubsauger eingefangen. Weil ich das alles mitanhören muss, muss die Buchsbaumhecke jetzt für einen Vergleich herhalten, auch wenn manche sagen, es sei nicht alles ein Vergleich, was hinkt. In meinem Spürendenken ist immer alles mit allem verbunden.
Am vergangenen Samstag nämlich führte ich ein langes Gespräch mit Politikern – es ging um die Emsbachverbauung. Anscheinend stockt die Sache wieder. Politik, Investor und Bürgerinitiative können sich nicht einigen. Ich hörte lange zu. An den genauen Wortlaut kann ich mich nicht erinnern, die gesprochenen Worte sind nicht immer das Wichtigste. Die Beobachtung der Gefühle, der Gestik des Zweifels oder des Staunens, die sich in Gesichtern abzeichnen, finde ich viel interessanter. Echte Freude über die Zukunftswerkstatt war also in einem Gesicht zu lesen – noch größere Freude über die dort gelebte kreative, friedliche Zusammenarbeit von hundert Hohenemsern und Hohenemserinnen in einem anderen. Sorge, dass Investoren in Zukunft Hohenems meiden könnten, war in nervösen Händen zu lesen. Vielleicht lag auch eine Unsicherheit in den Füßen – da hab ich nicht so genau hingeschaut, ich war selbst unsicher. Ich weiß aber noch, dass ich sagte: Macht doch nun endlich diesen Workshop mit allen Gruppen zusammen, öffnet die Zahl der Teilnehmer zu einer kleinen Zukunftswerkstatt im Zuge der großen.

Weil ich mir Freiheiten nehme, habe ich aber diese Sorgen hochgerechnet auf die anderen Politiker. Plötzlich sah ich die Politikerfront als immergrüne Buchsbaumhecke vor mir, die sich einen Schädling eingefangen hat: einen Emsbachzünsler, die Larven der Enttäuschung auf allen Seiten.

Nun. Abends dann war ich in Schaan auf einer gemeinsamen Lesung mit anderen Autoren. Als ich dem Leiter des Literaturhauses von unserem Visionsprozess erzählte, leuchtete sein Gesicht, denn er hatte auch schon Zukunftswerkstätten geleitet, die allerdings in Folge scheiterten – die soziale Architektur war nie Meilenstein gewesen. Er fand genial, was wir Hohenemser uns trauen.

An einem anderen Tisch drehte sich das Gespräch um lebendige Systeme, in denen lustiger Weise ebenfalls von Buchsbaumhecken die Rede war. In einer Zeitung war ein Artikel erschienen, in dem es hieß, dass die Meisen durchaus bereit wären, den Buchsbaumzünsler zu tilgen – allein, die Hecken würden zu oft geschnitten, sie seien zu dicht, darum könnten die Vögel darin nicht landen. Den sich entwickelnden Nützlingen (Meisen) wird keine Chance gegeben.

All das verdichtet sich in mir zu einem Vergleich. Man muss die Front öffnen, um der Kreativität Einlass zu geben, damit die Larven der Enttäuschung getilgt werden können. Viele Menschen aus dem Personenkomitee haben im Zuge der Vision Stadt Hohenems den Dialog gelernt. So wie ich sie erlebe, haben sie keine fertigen Konzepte für die Emsbachverbauung zur Hand, weil sie sich im Miteinander einbringen möchten. Keinen Gegenentwurf wollen sie formulieren – sondern Weisheiten, Kreativität und Intelligenzen nebeneinander legen, damit die Entscheidung für die zukünftige Emsbachverbauung von möglichst vielen Menschen mitgetragen werden kann. Der ehemals geplante Workshop kann da nur dienlich sein, da diese Menschen doch allesamt Nützlingen gleichzusetzen sind: Sie sind Fachleute, sie kennen ihre Stadt, da sie in ihr stehen und gehen, da sie in ihr leben und sie beleben. Ihr Leben wird von der Stadt geprägt, weil sie sie lieben. Sie sind Teil des Ortes Stadt.

Ich persönlich mache mir keine Sorgen um die Investoren der Zukunft. Investoren wollen ihr Geld investieren und es für sich arbeiten lassen. Sie sind in diesem Sinne keine „Wohltäter“, – sonst würden sie ja Helfer oder Hilfsorganisationen heißen. Warum sollten Investoren nicht lernen, dass es in Hohenems ein Miteinander gibt, das womöglich zu einer viel interessanteren Architektur, zur Schaffung von schönen, angenommenen Plätzen und Räumen führt? An einer lernenden Stadt können auch Investoren lernen. Die Zeit, die dafür aufgewendet werden müsste, kann sich in einer unglaublichen Werbewirkung für weitere Projekte ausdrücken. Wer nicht wagt, gewinnt nicht.

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