Türen gehen auf 24


Briefe an die Bewohner/innen einer Stadt

Von Gabriele Bösch

In Altach gibt es einen Tischler, der auch Lehrlinge ausbildet. Im Laufe der Jahre erkannte er, dass junge Menschen nicht mehr im Bewusstsein natürlicher Zusammenhänge aufwachsen: Sie glauben, die Milch käme vom Spar und das Holz vom Tschabrun oder von der Firma Tischler Rohstoff. Da überlegte er sich etwas. Er geht jetzt mit den Lehrlingen in seinen Wald.

Miteinander suchen sie Bäume aus. Jedem Lehrling erklärt er den Geld-Wert eines solchen Baumes – und schenkt ihn ihm dann. Der Lehrling muss den Baum dann selbst fällen, er muss ihn sägen, die Bretter stapeln und sie drei Jahre lang beobachten und pflegen. Am Ende der Lehrzeit macht der Lehrling aus „seinem Baum“ dann ein Gesellenstückchen, ein schönes Möbelstück. In diesem sorgfältig geplanten und umgesetzten Stück wird er zeitlebens den Wald erkennen, in dem er dieses Holz geschlagen hat, er wird die Zeit schätzen, die das geschnittene Holz benötigte, um zu trocknen, er wird seine eigene Geduld schätzen lernen, er wird die Natur schätzen lernen - und auch seinen Lehrer, der sie ihm nahebrachte. Herr Müller verdient unsere volle Hochachtung.

In unserer Stadt werden immer öfter Stimmen laut, dass man noch nichts sähe von der Vision, dass nur geredet werde und nichts umgesetzt. Nun, ich nehme an, dass viele dieser Menschen um ein Gebälk wissen, das ständig knarzt und schnellt, weil das Holz zum falschen Zeitpunkt geschlagen wurde oder nicht lange genug trocknen durfte. Oder sie verfügen über das Wissen, dass der Rigips-Innenausbau reißt, wenn das Holz noch arbeitet.

Das Schwierige an der Vision Stadt Hohenems ist vielleicht, dass wir alle zusammen (die sich beteiligten, und auch die, die sich nicht beteiligen) Lehrlinge sind – und zugleich sind wir unsere eigenen Lehrer. Das Holz, das wir schlagen und lagern: sind wir selbst. Wir müssen also doppelt geduldig mit uns selbst sein.

Wenn wir unsere Stadt mit einem Wald vergleichen, dann erkennen wir, dass in den letzten Jahrzehnten in diesem Wald ziemlich geräubert wurde. Kahlplätze entstanden, abstruse Wege, mancherorts wurde regelrecht Müll abgelagert, andernorts entstand ein wirrer Wildwuchs usw. Wir haben uns entschlossen, einen Plan zur Aufforstung unseres Waldes zu entwickeln – und darüber müssen wir miteinander sprechen. Das Wie und womit wir aufforsten, haben wir im letzten halben Jahr in zahlreichen Workshops und in der Zukunftswerkstatt festgehalten. Was dabei herauskam, wird am 2. Juli 2013 in einer festlichen Veranstaltung präsentiert.

Jetzt aber stecken wir schon in der Phase, in der wir darüber sprechen, wer das Wie umsetzt beziehungsweise umsetzen soll. Würden Sie mit Jemandem, den Sie nicht kennen, dem Sie noch nicht vertrauen, der vielleicht nur so tut, als wisse er, wie er den Keil ansetzen muss, damit der Baum in die richtige Richtung fällt, in den Wald gehen, um einen Baum zu fällen? Also ich nicht.

Viele Menschen haben sich bereit erklärt, mitzuarbeiten – aber jetzt sind wir in der Phase, in der wir uns vertieft kennenlernen – wir sprechen direkt miteinander.
Erster Hohenemser Stadtdialog

Am vergangenen Freitag trafen sich also Politiker/innen, Menschen aus der Verwaltung und Bürger/innen zum 1. Hohenemser Stadtdialog. Über 50 Menschen fasste der Stuhlkreis, in seiner Mitte lag ein „Redestein“, der die Form eines Herzens hatte, und ein „Redestab“, der, soweit ich erkennen konnte, ein Birkenast war. Die Frage an die Gemeinschaft lautete: Was braucht es jetzt, damit die Vision in die Umsetzung gelangt? Wer sprechen wollte, holte sich den Redestein aus der Mitte, ging zurück an seinen Platz und sprach von Herzen, in der „Ich-Form“ – nicht von „man“. Dann legte er den Stein zurück. Ein kleines Schweigen entstand, in dem die Menschen Zeit hatten, das Gesagte bei sich ankommen zu lassen, um es ohne Verurteilung schweben zu lassen. Ein Dialog ist etwas anderes als eine Diskussion. In der Diskussion zerhacken wir ein Thema in seine Einzelteile, das aber überwiegt, weil wir auf unseren Meinungen beharren. Der Dialog ist das Gegenteil von Diskussion, wir lassen unsere Meinungen schweben und hören dem anderen zu: Wir lassen ruhen, ähnlich dem vorhin benannten Bretterstapel. Niemand darf dem anderen den Redestein direkt aus der Hand nehmen – es braucht die Ruhe der Mitte, in die der Stein zurückwandert, bevor ihn ein anderer in die Hand nimmt, um Seines zu sagen. Solchen Umgang miteinander müssen wir lernen, das müssen wir üben, immer wieder. Es wird noch einige solcher Stadtdialoge brauchen, bis wir wirklich die Eigeninteressen solange schweben lassen können, dass aus der Summe des Gesagten das Neue entsteht: das Miteinanderdenken. Im Miteinanderdenken gibt es kein Entweder-Oder, da entsteht das Sowohl als Auch, in das alle unsere Ideen Eingang finden: im Sinne des Gemeinwohls – in dem Politik, Verwaltung und Bürger miteinander Sinn erleben – und eben aus diesem Sinn heraus miteinander zu handeln vermögen.
In vierzig Jahren Stadtpolitik habe er noch nie erlebt, dass fünfzig Menschen auf solche Art miteinander sprechen, sagte Arnulf Häfele zum Abschluss. Das ist schön und kraftvoll. Das muss weiter gepflegt werden, unsere Lehrzeit ist noch nicht um. Noch muss das Holz ruhen – das gibt uns Zeit, sorgfältig zu planen. Das gibt uns die Möglichkeit, dass sich einzelne thematische Dialoggruppen herausbilden, um die vielen Ideen zu vertiefen in der Frage: Wie gehen wir vor, um diese Ideen langfristig umzusetzen.
Das alles ist vergleichbar mit der Entstehung der Jahresringe in einem Baum. Nach der Ruhephase im Winter (oder Trockenzeit) werden in der Mobilisierungsphase Nährstoffe verbraucht, die vor der Ruhephase angelegt wurden. Es folgt die Wachstumsphase, in der das sogenannte Frühholz entsteht.
Ich glaube, wir stecken in der Mobilisierungsphase. Jeder einzelne Bürger, jede Bürgerin, der/die sich am Dialog beteiligt, ist daher ein wichtiger Nährstoff.

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn. (Rilke)
Visionscafé

Am 11.5.2013 lädt das Team um das Visionscafé zu einer „Pflanzentauschbörse“, von 10 bis 13 Uhr. Sie sind herzlich eingeladen, Ihre Setzlinge mitzubringen und sie gegen andere zu tauschen!

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