Türen gehen auf 20 / 20.03.2013


Briefe an die Bewohner/innen einer Stadt

Von Gabriele Bösch

Ich liebe die Stille. Ich arbeite in der Stille. Die Stille, die sich zwischen zwei rechten Maschen ergibt. Die ganze Decke existiert irgendwo in meinem Bewusstsein, ich habe mich irgendwann entschieden, sie zu stricken. Ich fange mit dem Anschlag an. Und dann, wenn ich mich eingelassen habe, wenn ich weiß, wie das Muster funktioniert, entsteht Stille zwischen den Maschen. Ich bin im Fluss.


Das gleiche geschieht beim Schreiben. Irgendwann tut sich auf, über was ich schreiben will. Ich sammle, was ich dazu brauche, alles Wissen, die Erfahrungen und – die Zufälle. Ich beginne mit einem Satz. Vergesse das Große, den ganzen Text. Schreibe Wort für Wort. Und dazwischen entsteht Stille.
Das gleiche geschieht im Garten. Ich überlege, wie ich die Fruchtfolge wechsle. Ein Bild entsteht. Dort das Rot der Tomaten, da das Violett der Auberginen. Während ich dann die Beete vorbereite, den Kompost einarbeite, liegt immer dieses Bild des gereiften Gartens zwischen den Krümeln dieser wunderbaren Erde, es liegt in ihrem Duft, den ich wahrnehme, der dann wieder erwacht, auf der Zunge, wenn der Geschmack der Tomate sich in meinem Mund entfaltet. Das ist Stille. Weil ich in der Konzentration des lautlosen Säens tatsächlich nur dieses Bild aus der Zukunft höre. Das Krachen, wenn ich in die knackige Gurke beiße. Diese Stille ist mir ein Glück.
Jetzt ist mehr als eine Woche vergangen seit der zweiten Zukunftswerkstatt. Etwas hat mich zutiefst bewegt, und ich habe versucht, dem nachzuspüren, dem WAS IST. Dieses WAS IST ist mir ein Glück und ich habe mich gefragt, warum, und worin es besteht. Hundert Menschen in der Otten Gravour, permanent laufende Gespräche – und doch war es für mich so still, als säßen wir alle in einer Lesung und hörten einem Lesenden zu. Oder als säßen wir absolut still in einem ansprechenden, berührenden Theaterstück. Ich habe nicht die Stimmen gehört, ich habe das dazwischen gehört. Ich habe das Hinhören der einzelnen Menschen gehört. Wie ist das möglich? Dass da im Raum ein fertiges Bild der zukünftigen Stadt schwebte, noch nicht greifbar, aber es war da, und die Menschen richteten sich nach diesem Bild, im Formulieren ihrer Gedanken, ihrer Wünsche, und im Hinhören auf das, was der andere sich denkt, was er sich wünscht. Entstand dieses schwebende Bild der zukünftigen Stadt tatsächlich aus der Summe all der Gedanken und Gefühle und Wünsche dieser hundert Menschen? Ich glaube ja, und doch spüre ich, dass es da noch etwas gibt, etwas, das das überhaupt möglich machte, etwas Grundsätzliches, das eigentlich ein Paradoxon ist.
Ich denke, bevor wir an den Visionsrunden vor der ZWST teilgenommen haben, wussten wir Einzelne nicht wirklich, was wir zu einer Vision beitragen könnten. Keiner von uns hatte ein Gesamtkonzept im Kopf, einzelne Vorschläge, ja, aber nicht das Ganze. Wir haben guten Willen gezeigt, haben teilgenommen und uns eingebracht und haben gelernt, dass die anderen auch gute Ideen haben, und dass wir alle einem ähnlichen Wunsch unterliegen: mehr Lebensqualität statt Lebensstandard. Da entstand zum ersten Mal etwas wie Vertrauen, nicht zuletzt, weil sich auch ein paar Politiker beteiligt haben, in denen das Bewusstsein wuchs, dass sie nicht nur Verwalter sind, sondern auch Beteiligte, Teilnehmer, Mitgestalter.
Wir sind also mit gutem Willen in die Visionsrunden eingetreten, haben den Samen des Vertrauens in uns aufgehen lassen – und jetzt geschieht das Paradoxon: Wir gingen aufgrund dieser Erfahrungen absichtslos in die Zukunftswerkstatt. Absichtslos, im Sinne von: wir gingen in die Zukunftswerkstatt, nicht um andere zu überzeugen, sie zu überreden, um Recht zu haben, sondern um diesem gefühlten Ganzen zu dienen. Daraus entstand dieses große schwebende Bild der zukünftigen Stadt: Jeder brachte seine Idee, seinen Willen ein – und absichtslos ließ er auch die Idee, den Willen des anderen gelten. So entsteht das GANZE.
Wir waren also jeder ein Krümelchen Erde. Karin Metzler, Angela Jäger und Wolfgang Ritsch waren unsere Struktur, gleich dem Kompost, der in unsere Erde eingearbeitet wurde, damit wachsen kann, was wachsen soll, all die Samen einer Stadt, die sich über die Jahrzehnte wild versämten. Der Samen hat sich übers verwildern erhalten, jetzt aber kann er auf fruchtbarem Boden gedeihen, solange wir uns bewusst sind, dass wir alle Beteiligte sind. Wir alle. Es geht nicht ohne das Krümelchen daneben, dann sind wir nicht Erde. Wir sind nicht Teil des Ganzen, wir sind Beteiligte, sagt Hans Peter Dürr. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile, weil erst durch das beteiligt sein ein Erwartungsfeld aufgeht: dieses schwebende Bild der zukünftigen Stadt, in dem wir alle enthalten sind.
Ich habe am Wochenende reflektierend bewusst in den Himmel gesehen. Die dunkelgrauen Flecken, zwischen denen sich die Sonne meinem Blick entzog. Immer wieder aufs Neue bin ich fasziniert, wie sich die Wolken andauernd anhaltend verändern in ihren Formationen. Sie sind getragen. Sie werden bewegt, von etwas, was ich nicht sehen kann. Was ich sehen kann, ist ihre Form, den Zusammenhalt der unzähligen Wassertröpfchen. Was wir wahrnehmen können, das sind die Beziehungen, sagt Hans Peter Dürr, der Kernphysiker. Es sind nicht die Wassertröpfchen, es sind ihre Beziehungen untereinander, die sich in der Wolke zeigen.
Wie soll es weitergehen, fragen Viele in diesem Augenblick. Es kann meines Erachtens nur so weitergehen, dass wir unsere Beziehungen weiterhin pflegen, dass wir Dialogrunden einrichten, zu den unterschiedlichsten Themen, die da in der Zukunftswerkstatt sich verdichtet haben. Wir können die Verantwortung des Beteiligtseins jetzt nicht allein auf die Politiker abschieben, wir müssen sie selbst in die Hand nehmen und dazu einladen. Und wir dürfen nicht ungeduldig sein. Nicht vor den Eismännern die Tomaten ins Freie setzen, und bedenken, dass die Petersilie einen neuen Standort braucht. Sie verdirbt sich sonst selbst.
Aus dieser Stille des „Sich-setzen-lassens“, absichtslos, lege ich Ihnen zum Abschluss noch einmal ein Buch ans Herz: Der Dialog. Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen. Von David Bohm, Klett Cotta, 6.Auflage, 2011. ISBN 978-3-608-94553-9

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen