Türen gehen auf 17 / 27.02.2013



Briefe an die Bewohner/innen einer Stadt

Von Gabriele Bösch

Wie verändert man eine Stadt? Man nehme hundert Emser, stopfe sie in einen Saal, verpasse ihnen ein eindeutiges Namensschild, mische sie ordentlich durch, erschlage sie mit einer Fülle an Informationen, mische sie erneut, würze sie mit der Erlaubnis, der Phantasie freien Lauf zu lassen, fülle sie mit Suppen, lasse sie für eine Stunde ruhen, um sie dann auszupressen, bis sie tatsächlich das Gefühl haben, im Jahr 2033 gelandet zu sein.
So geschehen auf der Zukunftswerkstatt Teil 1 am vergangenen Samstag. Ich bin begeistert! Im Jahr 2033 ist Hohenems von liebevollen, aufmerksamen, gesunden, bewussten Menschen bevölkert, das Gemeinwohl ist oberstes Ziel, die Stadt ist ein einziger Garten, das Handwerk boomt neu, das Schlossbergrind ist Vorarlberger Exportartikel Nummer eins, die Emser haben eine eigene Art sich fortzubewegen, Annette Öztürk und Mustafa Amann regieren als Bürgermeisterduo die Stadt. Die beiden sind besonders stolz auf die Emser Universität! Aber lesen Sie selbst die Nachrichten aus dem Jahr 2033, die Arnulf, Gerhard, Guntram, Hanno, Kurt und Jürgen uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt haben!

Hohenems heute. Berichte aus der Zukunft
Die Nachrichten vom 23. Februar 2033
Neuer Straßenbahnzentralbahnhof Hohenems am Lucian Brunner Platz
Nachdem der Ausbau des Rheintal-Straßenbahnnetzes in den letzten Jahren stetige Fortschritte gemacht hat, konnte heute der Straßenbahnzentralbahnhof am Hohenemser Lucian-Brunner-Platz dem Verkehr übergeben werden. Die attraktiven Fahrzeuge bedienen nun vom Zentrum des Rheintales aus die Städte und Gemeinden auf beiden Seiten der ehemaligen Grenze in dichtem Takt.

Der neugestaltete Bahnhofsvorplatz ist nach Lucian Brunner benannt, jenem Hohenemser Ur-Liberalen im Wiener Gemeinderat, der in seiner Vorarlberger Heimatstadt schon vor 130 Jahren mehrfach mit Trambahnprojekten scheiterte. Unter anderem, weil das Vorarlberger Volksblatt gegen die geplante „Kohlenbahn“ der „jüdischen Aktiengesellschaft“ wetterte, die die Hohenemser Schulen mit integrationsunwilligen italienischsprachigen Kindern überschwemmen würde.

Universität für Tourismus, nachhaltige Landwirtschaft und Kulturmanagement eröffnet
Gestern brachte der Festakt für die Eröffnung der neuen Hochschule für Tourismus, nachhaltige Landwirtschaft und Kulturmanagement am Emsbach ein internationales Publikum in die Stadt. Die erfolgreiche Entwicklung der letzten Jahre, ganzheitliche Bildungskonzepte mit Bezug auf die besonderen Stärken der Region auszurichten, fand damit ihren vorläufigen Höhepunkt. 2019 schon konnte in Hohenems das Bildungshaus der Vorarlberger Tourismuswirtschaft seine Pforten öffnen. 2025 folgte die Eröffnung der höheren Berufsbildenden Schule für Tourismus, nachhaltige Landwirtschaft und Kultur. Diese ungewöhnliche Fächerkombination hat schließlich auch die Bildungsreformkommission in Wien überzeugt. Während einer Sitzungsunterbrechung der seit 2012 stattfindenden Dauerberatungen konnte in der Kommission tatsächlich der erste Beschluss gefasst werden. Auf Hohenems konnte man sich bei einer Tasse Kaffee einigen. Heute haben zwischen Schlossplatz und Jüdischem Viertel die Lehrveranstaltungen begonnen. Und die Reformkommission in Wien tagt immer noch.

Der Polizeibericht: Schnellfahrer im Zentrum
Heute musste die Polizei Hohenems leider seit langem wieder zwei Strafmandate zustellen. In den letzten Tagen wurden im Shared Space im Hohenems Zentrum zwei Autofahrer mit 9, bzw. 11 Stundenkilometern geblitzt, also deutlich über Schrittgeschwindigkeit, die dort zum Wohle aller vorgeschrieben ist. Wir hoffen sehr, dass so etwas so schnell nicht wieder vorkommt.

Kulturelle Vielfalt findet in Hohenems seit langem nicht nur im Museum statt
Neben der öffentlichen Bibliothek am Stadtplatz Herrenried hat heute nun auch das Kulturzentrum säkularer Muslime seine Arbeit aufgenommen.
Gelebte Pluralität ist in Hohenems schon seit vielen Jahren kein Fremdwort mehr. Als vor zwölf Jahren die erste Vorarlberger Holzmoschee durch den Imam Alois Amann (gemeinsam mit Oberrabbiner Häfele und Bischof Rosenthal) eingesegnet wurde, waren die ideologischen Grabenkämpfe alter Zeiten schon vergessen. Die Frage nach der Höhe des Minaretts war in der Öffentlichkeit längst durch den legendären Vorarlberger Architektenstreit abgelöst worden. Wolfgang Ritsch („Ich will Glas sehen, also nichts sehen“) und Marte & Marte („Beton soll sein, wo vorher nichts zu sehen war“) hatten sich gegen Roland Gnaiger nicht durchsetzen können, der mit seinem Credo die Herzen im Sturm eroberte: „Ich sehe das Minarett vor lauter Bäumen nicht“.
Heute öffnet das Kulturzentrum der säkularen Muslime seine Tore, mit einer religionskritischen Fachbibliothek und einer Ausstellung überragender Mohammed-Karikaturen der talentiertesten muslimischen Künstler Vorarlbergs und der Ostschweiz.

Neues aus dem Hohenemser Naherholungsgebiet
Mitglieder des Hohenemser Wandervereins präsentierten heute stolz den 1000sten Hohenemser Wanderkilometer. Beim Festakt stellte Obmann Mustafa Can auch die nächsten Pläne vor. In Kürze soll mit dem Bau des neuen Spiel- und Entdeckungspfad im renaturierten Urwald hinter dem Schlossberg begonnen werden, eine Kooperation mit der Tourismus- Landwirtschafts- und Kulturmanagementschule Hohenems und der gräflichen Forstverwaltung, die sich seit Jahren um Projekte des ganzheitlichen Lernens bemühen.

Neue Mobilität: die Schwebefahrrad-Leihstation am Hohenemser Bahnhof
Mobilität wird in Hohenems seit langem anders erfahren. Das Zentrum mit seinen individuellen Läden und Werkstätten für regionales Handwerk, modernes Design und kreative Wirtschaft gilt schon jetzt als das fußgänger- und fahrradfreundlichste Ensemble der Region. Doch nun wird der individuelle Nahverkehr revolutioniert. Die Schweberäderleihstation am Hohenemser Bahnhof wird morgen der Öffentlichkeit übergeben. Seitdem unter dem Kummenberg die größten Heliumvorkommen Europas entdeckt wurden (und damit das Rätsel dieser unmotivierten Erhebung im Rheintal gelüftet war) ist Collini dabei, den Weltmarkt mit seiner ersten Fahrzeugproduktion zu erobern: den Schweberädern made in Hohenems, getreu dem Collinimotto:
„Nur Helium, Beschichtung – und sonst nichts!“ Bevor die Hohenemser Schweberäder zum erfolgreichsten Exportartikel der Vorarlberger Elektro- und Metallindustrie werden, sollen sie nun erst einmal in einem Feldversuch getestet werden. Die alte Fahrradleihstation am Bahnhof, die 2014 nach den ersten Hohenemser Visionsworkshops eingerichtet worden ist, hat damit ausgedient. Ab heute schweben Hohenemser und ihre Gäste lautlos durch Christen- und Judengasse.

Soviel zu den unspektakulären Nachrichten des Tages.

Morgen sehen Sie auf Hohenems heute: Wie Vorarlberg im Jahre 2050 energieautonom sein will. Und die Hohenemser sich ins Fäustchen lachen, weil sie es schon seit drei Jahren sind.

Präsentation der Arbeitsgruppe Guntram Obwegeser, Gerhard Fischbacher, Arnulf Häfele, Jürgen Peter, Kurt Raos und Hanno Loewy, in „Form gebracht“ von Hanno Loewy. Eine Video-Kurzfassung (gezaubert von Jürgen Peter) gibt’s auf: http://www.youtube.com/watch?v=CIGmgMry8aQ

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen