Hohenems / Weil sie Juden sind

 
Die Hohenemser kamen in Scharen. Auf dem Schlossplatz hatte man einen großen Lautsprecher aufgestellt. Die Radioansprache wurde ins Freie übertragen. Die Emser waren begeistert. Gesprochen hat Adolf Hitler, der vor dem deutschen Reichstag seinen Überfall auf Polen und den Beginn des Zweiten Weltkrieges verkündete. Die deutsche Minderheit, die in Polen lebe, sei entrechtet und werde misshandelt, sagte er. Seit 5.45 Uhr werde deshalb zurückgeschossen.
Was für eine Verdrehung der Tatsachen! Unter den Zuhörern auf dem Platz vor dem Gasthaus Post stand am 1. September 1939 auch der Fotograf Markus Silberstein. Er wohnte gleich hinter dem Torbogen in der Burgstraße 7. Er lächelte während der Rede Hitlers in sich hinein. „Der Jude Silberstein ist noch immer hier und erregt das Missfallen und den Zorn vieler Volksgenossen, wenn er vor der Post die Meldungen hört und mit grinsendem Gesicht die unerhörten Schandtaten der Polen Deutschen gegenüber vernimmt. Wenn er nicht in Schutzhaft kommt, sorgen Parteigenossen dafür, dass er nicht mehr rumlaufen kann.“ Nicht die Kreisleitung war es anfangs, sondern Hohenemser Parteifunktionäre und der Bürgermeister waren es, die einen harmlosen Juden nicht ertragen konnten.


Der Postenkommandant erklärte, Markus Silberstein habe sich während seines Aufenthaltes in Hohenems klaglos aufgeführt. „Der Genannte ist jedoch Volljude, und aus diesem Grunde wurde er schon wiederholt vom Bürgermeister und der hiesigen Station aufgefordert, Hohenems zu verlassen.“ Die Nazi-Obrigkeit blieb vorerst untätig. Ein Emser Funktionär schrieb erneut an die Kreisleitung, er habe über den Juden Silberstein schon berichtet: „Wenn nichts geschieht, sorgen wir dafür, dass der Mann nicht mehr lange rumläuft.“


Hohenemser Bürger von damals haben als Politiker große Schuld auf sich geladen. Es begann mit dummen Sagern. Markus Silberstein wurde auf Drängen etlicher Emser im Jahre 1939 als einer der ersten jüdischen Mitbürger aus Vorarlberg verhaftet, in das Konzentrationslager Dachau und von dort nach Sachsenhausen deportiert. Im Jahre 1942 wurde er im KZ Groß-Rosen ermordet. Alle jüdischen Mitbürger aus Hohenems wurden ermordet. Alle. Und wenn sie das Fahrtgeld für die Deportation nicht aufbringen konnten, wollte der Bürgermeister ihre Fahrkarte in den Tod noch aus der eigenen Tasche bezahlen. Bürgermeister und Juden: Vielleicht verstehen Außenstehende nun, warum eine Wahl in Hohenems nicht nur eine Abstimmung über Personen ist, sondern auch ein wichtiger Test darüber, ob die Nachfahren in Hohenems in der Zwischenzeit aus der Geschichte gelernt haben.

Ein Kommentar von Arnulf Häfele 

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