Am
29.03.2015 wird in Hohenems die
Bürgermeisterstichwahl zwischen dem jetzigen Bürgermeister DI Richard Amann
(ÖVP) und seinem Herausforderer Dieter Egger (FPÖ) stattfinden. Aufruhr
herrscht in der Stadt und auch in meinem Kopf.
Ich
bin zur Wahl gegangen, seit ich wählen darf und habe immer aus Überzeugung und
noch nie aus Taktik gewählt, selbst bei der ominösen Landtagswahl im Jahre 2009
nicht, als Dr. Sausgruber mit der ÖVP doch gewann und sich anschließend dann
von Dieter Egger trennte.
Ich
will keinen Dieter Egger als Bürgermeister. Er ist absolut schamlos im Anzug,
da hilft auch der legere Bart nichts. Und er ist gefährlich.
Die
Keimzelle des Rechtsextremismus ist die autoritäre Familie, in der Gehorsam
zählt und nicht die Liebe. Das macht sich Egger zunutze, indem er in der
Sprache der Unterdrückten und Ausgegrenzten den Schrei nach dem starken,
erlösenden Mann formuliert, um ausgerechnet „die Familie zu stärken“. Und so
gewinnt er die Stimmen der einst oder immer noch Unterdrückten oder
Ausgegrenzten, für deren Ausgrenzung er auf der anderen Seite mit Begriffen wie
„heimisch“ dann wieder sorgt. Das zeigt seine Inhaltslosigkeit auf, die
Abwesenheit von Werten und Würde, das zeigt seine blanke Gier nach Macht.
Diese
schamlose, nackte Gier macht es möglich, den Direktor des Jüdischen Museums mit
antisemitischen Äußerungen auf das Tiefste zu verhöhnen und dadurch dessen
persönliches Ansehen und jenes der Stadt über die Landesgrenzen hinweg zu
beschädigen und sich nie dafür zu entschuldigen. Diese Gier macht es möglich,
im Wahlkampf gegen ein Verkehrskonzept zu wettern, das er selbst mitbewirkt
hat. Diese Gier macht es auch möglich, gegen die Vision Stadt Hohenems, an der
er nie teilgenommen hat, zu wettern und sich gleichzeitig deren Ideen auf die
eigenen Schultern zu heften.
Für
so einen Menschen ist die Welt ein Selbstbedienungsladen. Er nimmt sich, was
ihm nützt, um seine eigene Macht zu stärken – um der zutiefst empfundenen
eigenen Unterdrückung zu entgehen. Ein Bart kaschiert das.
Mit
dem amtierenden Bürgermeister DI Richard Amann pflege ich wegen seines Willens
zum Gehorsam eine zwanzigjährige Gegnerschaft, die sich während des
Visionsprozesses zunehmend freundlicher gestaltete, weil ich über einige
persönliche Schatten gesprungen bin und mich dem Gemeinwohl verpflichtete.
Zugute halte ich ihm eine gewisse Erschwernisauflage, da er auf dem
Scherbenhaufen des letzten Niederschmetterers seine Amtszeit beginnen musste.
Jetzt stellt also dieser mein Quasi-Lieblingsfeind in der Stadt für mich das
kleinere zu wählende Übel dar.
Prompt
erreichte mich die Bitte, eine Unterstützungserklärung für ihn zu
unterschreiben, die die reinste Lobeshymne auf ihn singt, damit Egger nicht
gewinnt. Das konnte ich nicht unterschreiben, ich wäre mir selbst gegenüber
korrupt gewesen. Eine Wahl zwischen einem für mich großen und einem kleineren
Übel ist keine Wahl – und ich kann keine Heilung für die Stadt darin sehen. Ich
sagte daher ab.
Die
Antwort kam postwendend, von einer Seite, von der ich sie eigentlich nicht
erwartet hatte – vom Direktor des Jüdischen Museums. Es sei menschlich nicht
anständig, die einzige Alternative zum Populisten und Antisemiten Egger nicht
zu wählen. Unter einem Bürgermeister, dem er nicht die Hand schütteln könne,
könne er nicht existieren. Für ihn gehe es um alles oder nichts. Ich wartete
nach dem Lesen dieses Schreibens auf meine Emotionen. Sie traten nicht auf. Ich
bin menschlich nicht anständig, wiederholte ich, und wartete erneut. Nichts
rührte sich. Stunden vergingen in absolutem Schweigen. Dann kam ein Gedanke:
Jetzt macht der Direktor des Jüdischen Museums mir diese „Unwahl“ zu einer Wahl
zwischen ihm und Dieter Egger, damit sich die Geschichte nicht wiederholt.
Diese Wahl ist absolut klar für mich – aber dafür müsste ich Amann die Stimme
geben, der in dieser Wahl dann Profiteur wäre. Das ist doch verrückt, dachte
ich. Und alles oder nichts? Der Satz schien mir ziemlich übertrieben – oder
zumindest aus dem System gefallen. Aber meine Seele sprach noch nichts.
Es
gebe eine Ethik, die meine Texte durchziehe, sagte einmal ein Freund zu mir.
War sie mir jetzt abhandengekommen oder hatte sie gar nie wirklich existiert?
Ich irrte durch die Wohnung. Ich irrte durch meine Schriften. Ich suchte die
Philosophen auf und las bei den Themen Moral und Politik nach. Kategorischer
Imperativ: Wenn alle so handeln würden wie ich, dann würde niemand zu dieser
Wahl gehen. Das war für mich in Ordnung. So weit, so gut. „Wer auf die Moral
zählt, um Elend oder Ausgrenzung zu beseitigen, macht sich offenkundig
Illusionen.“ Ich stöhnte. Ich war also menschlich nicht anständig, weil ich
nicht wie alle anderen wusste, was zu tun sei – und ich war mit meiner Moral
auch noch ein Illusionist.
Ich
ging zum Zahnarzt und ließ mir einen Schneidezahn ziehen und etwas Knochen vom
Gaumen in den Kiefer verpflanzen. Das war am Dienstag.
Am
Mittwoch erzählte mir jemand etwas Klatsch. Es kamen darin Rumpelstilzchen und
andere Götter, deren Namen man nicht aussprechen darf, vor. In der Stadt rumore
es. Das war irgendwie tröstlich. Dann schickte mir jemand den Artikel aus dem
„Standard“, worin es hieß, ein blauer Bürgermeister gegen eine andere Mehrheit
– da stünden dann ohnehin bald Neuwahlen an. Endlich eine vernünftige Aussage,
dachte ich. Aber warum, warum quälen sich alle so bis auf den einen Starken,
nämlich Dieter Egger? Warum erscheinen mir plötzlich alle korrupt,
einschließlich mir selbst? Was sehe ich nicht??????, fragte ich mich.
Ich
gab auf. Ich beschloss, menschlich unanständig zu bleiben, mich erneut
zurückzuziehen. Die Welt könne mich, dachte ich, in meinem Teich laichen die
Frösche. Das ist eine Tatsache, an die ich mich halten kann.
Da
rief mich mein Kieferorthopäde am Mittwoch an, um mich zu fragen, wie es mir
gehe. Diese unbezahlbare, unentgeltliche Anteilnahme an meinem
höchstpersönlichen Trauma rührte mich zutiefst.
Und
da war es plötzlich. Aus heiterem Himmel das Wort: Trauma. Dann kam das
nächste: Symbolfigur. Der starke Mann. Unterdrückung. Ohnmacht. Spuk.
Befreiung. Heilung. Von irgendwoher tropften plötzlich sämtliche Wörter, die
ich in meiner Absage zur Unterstützungserklärung verwendet hatte – ich hatte
sie nur falsch geordnet.
Was
sich in diesem Theater Stadt Hohenems abspielt, zeigte sich, als ich nur
hinschaute:
Es
ist ein grandioses Schauspiel, an dem die Teilnehmer niemals freiwillig
teilgenommen hätten. Es wirkt wie
eine Organisationsaufstellung: Die Stellvertreter sprechen aus, wie es ihnen an ihrem Ort, ihrer Position geht, ohne etwas über jene wirklichen Menschen, für die sie dastehen, zu wissen. Was dabei herauskommt, hat mich fasziniert. Man weiß, ohne zu wissen. Und plötzlich wird klar, warum einer im System sich so verrückt aufführt, warum einer krank ist oder warum es z.B. keine echten Gefühle gibt. Manchmal, wenn ein schweres Verbrechen vorliegt, muss jemand aus dem System gehen. Solche Aufstellungsarbeit wird auch von Tiefenökologen mit Städten gemacht, die eine Katastrophe aufzuarbeiten haben. Denn wenn Städte sich auch wandeln, sie bleiben Orte der kollektiven Erinnerung, des Erkennens. Sie bleiben Orte, in denen emotionale Bindungen in die Vergangenheit reichen. In der Stadt Hohenems scheint derzeit die historische Situation durch drei Personen aufgestellt, die Täter, Opfer und Profiteure darstellen:
eine Organisationsaufstellung: Die Stellvertreter sprechen aus, wie es ihnen an ihrem Ort, ihrer Position geht, ohne etwas über jene wirklichen Menschen, für die sie dastehen, zu wissen. Was dabei herauskommt, hat mich fasziniert. Man weiß, ohne zu wissen. Und plötzlich wird klar, warum einer im System sich so verrückt aufführt, warum einer krank ist oder warum es z.B. keine echten Gefühle gibt. Manchmal, wenn ein schweres Verbrechen vorliegt, muss jemand aus dem System gehen. Solche Aufstellungsarbeit wird auch von Tiefenökologen mit Städten gemacht, die eine Katastrophe aufzuarbeiten haben. Denn wenn Städte sich auch wandeln, sie bleiben Orte der kollektiven Erinnerung, des Erkennens. Sie bleiben Orte, in denen emotionale Bindungen in die Vergangenheit reichen. In der Stadt Hohenems scheint derzeit die historische Situation durch drei Personen aufgestellt, die Täter, Opfer und Profiteure darstellen:
Den
Stellvertreter für den Täter, der mit antisemitischen Äußerungen eine
furchtbare Schuld verhöhnt, indem er das unsägliche Schicksal der jüdischen
Opfer schamlos verspottet, gibt Dieter Egger.
Den
Stellvertreter für die jüdischen Opfer und ihre tiefste Verzweiflung gibt Hanno
Lœwy.
Den
Stellvertreter für die Profiteure gibt Bürgermeister Amann.
All
das erinnert an diese Situation von damals. Fast die ganze Stadt scheint
Kopfzu- stehen, um dieses Mal das Unglück abzuwenden. Und es ergibt sich
tatsächlich die Möglichkeit, diese Schuld endlich zu heilen. Eine solche Chance
bietet die Historie nicht oft. So etwas kann man sich nicht besser ausdenken:
Mit den richtigen Akteuren heilt eine Stadt sich selbst!
Ein
mögliches heilendes Lösungsbild zu dieser Aufstellung wäre:
Dieter
Egger müsste sich bei Hanno Lœwy entschuldigen und dann das System verlassen.
Er müsste zurücktreten von seiner Kandidatur. Wenn er das machte, gewänne er
sein Ansehen zurück und könnte sich einer lobenden historischen Erwähnung
sicher sein. Hanno Lœwy müsste die Entschuldigung annehmen und den Rücktritt
von Dieter Egger sehr achten. Er könnte sich von dem
von ihm am historischen Ort empfundenen siebzigjährigem Schmerz befreien. Er müsste sich für eine Formulierung bei mir (und vielleicht auch bei anderen) entschuldigen, denn jeder hat sein kleines Auschwitz, wie Viktor Frankl einmal lächelnd formulierte.
von ihm am historischen Ort empfundenen siebzigjährigem Schmerz befreien. Er müsste sich für eine Formulierung bei mir (und vielleicht auch bei anderen) entschuldigen, denn jeder hat sein kleines Auschwitz, wie Viktor Frankl einmal lächelnd formulierte.
DI
Richard Amann müsste für das Wohl der Stadt zurücktreten. Was er jetzt gewänne,
gewänne er nicht aus einer Wahl, sondern aus einer Solidaritätsbewegung gegen
Egger. Auch er würde von der Geschichtsschreibung gelobt und wäre befreit von
vielen Wirrnissen.
Die
Stadtvertretung als oberstes Regierungsorgan (!)
könnte eine/n für alle annehmbaren parteilose/n Bürgermeister/in wählen, und
eine/n starke/n Stadtamtsdirektor/in, ähnlich dem vor hundert Jahren so ehrlich
und weitsichtig für Hohenems wirkenden
Klemens Brandis, einsetzen. Die Farben würden verschwinden, weil alle Parteien
sich endlich der Sachpolitik annähmen: die Umsetzung der von rund 2000 Bürgern
formulierten Vision.
Die
anhaltende Verdrängung der Geschichte macht unsere sogenannte freie Wahl zu
einer der Geschichte verpflichteten Solidaritätsbewegung. Aber ebendiese
Solidarität will ich erweitert sehen:
Ich
nehme daher das Land Vorarlberg und den Staat Österreich, deren damalige
Vertreter für die NS-Verbrechen in Hohenems die gesetzlichen Voraussetzungen schufen, in eine moralische und politische Mitverpflichtung.
Vertreter für die NS-Verbrechen in Hohenems die gesetzlichen Voraussetzungen schufen, in eine moralische und politische Mitverpflichtung.
Hiermit
bitte ich alle offiziellen Vertreter des Landes Vorarlberg und des Staates
Österreich stellvertretend für ihre politischen NS-Vorfahren, und alle jene
Menschen in Österreich, die sich für die Heilung der schweren österreichischen
NS-Schuld in unserer Stadt einsetzen wollen, Dieter Egger und DI Richard Amann
schriftlich und höflich um ihren Rücktritt zu bitten. Ich tue es hiermit.
Zur Person
Gabriele
Bösch
Geboren:
1964, aufgewachsen in Koblach
Wohnort:
Hohenems
Tätigkeit:
Autorin, Literaturvermittlerin
Werke:
Romane „Der geometrische Himmel“, „Schattenfuge“, Theaterstücke, Hörspiele
Auszeichnung:
Literaturstipendium des Landes etc.
Familie:
verheiratet, fünf Kinder
Grandios. Tiefen Respekt für diesen Text.
AntwortenLöschenChapeau für den Text, nur Nichtwäheln stärkt nur den oportunistischen Widerling D. Egger. Das Ansehen Hohenems wird nicht geschädigt beim Wahl des konservativen und engstirnigen DI Richard Amanns, genieren muss man sich nicht - nein im Gegenteil man kann Stolz sein dass die braunblauen kein absolutes Oberwasser bekommen haben in Hohenems - in letzter Minute!
AntwortenLöschenEin Signal.
In der Stadtvertretung kann man sich dann anschliessend mit den Schwarzen auseinandersetzen - für ein offenes und menschliches Hohenems.
Schlucke die Krot, die Alternative wäre fürchterlich.