Türen gehen auf 7


Briefe an die Bewohner/innen einer Stadt
 
Von Gabriele Bösch 

Der Sonntagnachmittag neigt sich, schwer wiegt der Schnee auf den Ästen der Tannen und Kiefern. Leuchtend grüne und pinkfarbene Hirsche stehen auf Fenstersimsen auf der Pirsch.
Bibi hat Kerzen angezündet. Draußen beginnt es zu schneien. Ich gebe zu, hier am Arlberg fällt es mir schwer, an Hohenems zu denken. Und doch habe ich den Computer mitgenommen. Immer schon habe ich hier geschrieben. 

Vor lauter Urlaubsplanung (Waschen, Vorkochen, Bügeln, Packen) und Kekse backen hatte ich vergessen, dass der 8. Dezember ein Feiertag ist. Wohl oder übel musste ich gestern Einkaufen fahren. Als ich durch das Einkaufszentrum schlenderte, stellte ich mir wieder einmal vor, dass die Innenstadt von Hohenems so ein Freiluft-EKZ wäre und dass die Bläser, die ich vernahm, am Schlossplatz stünden und die eilenden Menschen sich durch deren weihnachtliche Klänge in einer Art Zeitblase des Friedens verfingen. Mitten in einem Bekleidungsgeschäft blieb ich stehen und ging innerlich ein paar Schritte zurück. Eine tiefe Stille, in der ich regungslos stand, das bunte Treiben wie Wellen eines Meeres. Eine Frau kreuzte meinen Blick, sie ging durch die Menge, in den Händen hielt sie einen Teller mit Pralinen, die sie den Menschen anbot. Irgendwann stand sie hinter mir und fragte jemanden: „Magst du auch ein Schokolädchen?“ Da antwortete eine kleine Stimme: „Zwei.“ Ich drehte mich um. Ein vielleicht vier-fünfjähriges Mädchen hatte dies zur Antwort gegeben. Das Kind schien kein bisschen gierig zu sein, im Gegenteil, es machte durchaus den Eindruck, dass es eine Selbstverständlichkeit sei, zwei Schokolädchen zu fordern. Welche Selbstsicherheit, schmunzelte ich. Ich glaube, die Dame war auch ein bisschen verdutzt. Zusammen sahen wir dem Mädchen nach, wie es sich einen Weg durch die Menschleiber bahnte, hin zu einem größeren Mädchen, um diesem das eingeforderte zweite Schokolädchen zu überreichen, ihrer Schwester, wie sich herausstellte.
Dieses kleine Mädchen hat mich etwas gelehrt. Man kann mehr fordern, wenn man weiß, dass man teilen wird. Man kann selbstsicherer fordern, wenn man auch an den Nächsten denkt.


Über das Angebotene hinaus - denken

Letzte Woche, am Dienstag, dem 4. Dezember, fand im kleinen Löwensaal die Ökologiewerkstatt im Rahmen der Vision Stadt Hohenems statt. Veranstaltet wurde sie von Kurt Raos, Clemens Mathis und Werner Drexel – parteiübergreifend. Die drei Politiker mischten sich den ganzen Abend nicht ein: sie dienten. Das fand ich besonders schön. Eva Häfele moderierte die Werkstatt. Bei all diesen Organisatoren möchte ich mich herzlich bedanken! 50 Menschen waren gekommen, um für Hohenems, für die Natur, das Ried, die Gewässer usw. Visionen zu entwickeln. Mich berührte vor allem die Frage: Wie wollen wir unsere Stadt unseren Nachkommen hinterlassen? Ich freute mich über viele schöne Antworten. Die meisten von diesen versammelten Menschen dachten nicht nur an sich selbst – sie dachten darüber nach, was sie selbst jetzt an Hohenems schätzen – und sie erkannten die Wichtigkeit, dass man jetzt daran arbeiten muss, klare Weichen zu stellen, damit für unsere Nachkommen in der Zukunft überhaupt noch die Möglichkeit besteht, diese speziellen Eigenheiten und Talente von Hohenems zu er-leben. Hohenems verfügt (noch) über wunderbare Naturräume – es gilt, sie zu stärken – eine große Vision zu formulieren.
Als ich nach den drei Stunden nach draußen kam, hob ich meinen Blick zum nächtlichen Himmel. Da sah ich ein kleines Licht, fast ganz oben am Kirchturmspitz. Vielleicht war ich noch benommen vom Stimmengewirr der vergangenen Stunden, jedenfalls dachte ich: Da oben hat sich ein Stern verfangen! Da musste ich schallend laut lachen. Angela, die mit mir nach draußen gekommen war, fragte mich, was es zu lachen gäbe. Ich antwortete: Angela, die Sterne über Hohenems hängen jetzt tiefer, sie sind erreichbarer geworden! Sie blickte ebenfalls zur Kirchturmspitze - und fiel in mein Lachen ein.
Solch zufällige Ereignisse, das kleine Mädchen, der imaginierte Stern – machen mir immer tiefsten Eindruck: Ich gehe den Schönheiten entlang. Manchmal sehe ich Dinge, die noch nicht sind – es aber werden könnten. Und mit dieser eigenartigen Seligkeit, blickte ich dann zu Hause noch einmal auf den Stadtplan von Hohenems: Die Straßen, die von außen ins Zentrum von Hohenems führen – sie bilden einen Stern! Gabi, sagt mein Mann, das ist nur ein halber Stern! Egal, ich kann die zweite Hälfte imaginieren. Ich sah also plötzlich zusätzlich zur Schillerallee, die Radetzkystraße, die Diepoldsauer Straße, die Rudolf-von-Ems-Straße und die Kaiser-Franz-Josef-Straße als Alleen, die bis zum Kern der Stadt führen, oder umgekehrt von ihm ausstrahlen. Gab es diese Vision schon einmal? (Ich bin schon ganz gespannt auf die Präsentation der Projektlandschaft!)
So betrachtet ist der Palast unter dem Schlossberg das Zentrum, auf das alle Wege zulaufen. Das war mir nie bewusst, weil der Verkehr am Palast vorbeizieht, am Herzen der herzlichsten Stadt Österreichs. Dort genau müsste das Standesamt sein… Ich hab ja schon einmal gesagt: Ich bin eine Romantikerin. Und: Diese Visionstreffen beflügeln mich, weil ich immer mehr herzliche Menschen kennen lerne.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine schöne feierliche Zeit! Ich werde noch einen Brief an Sie schreiben – und dann im Jänner hoffentlich die ersten Begegnungen mit jenen Menschen schildern, die mich anriefen, um mir ihre Vision vorzustellen. Ab Freitag bin ich wieder da, meine Telefonnummer gilt noch immer, wenn auch Sie mir von Ihrer Vision berichten möchten: 0680/2324770.

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