Türen gehen auf 3


Briefe an die Bewohner/innen einer Stadt
 

Von Gabriele Bösch

„Ich will ein eigenes Zimmer!“, fordert die eine. „Wieso kriegt die in diesem Alter ein eigenes Zimmer?? Das hatte ich auch nicht!“, antwortet der andere. „Kann ich bei euch schlafen?“, fragt das dritte Kind.

Das vierte verschwindet. Das fünfte knallt eine Tür zu. Kennen Sie das? Ich schon. Jahrelang haben mein Mann und ich Möbel geschoben, Wände versetzt und Plätze freigehalten. Gerechtigkeit gibt es nicht, habe ich erklärt. Jeder muss auf etwas Bestimmtes verzichten, die einzelnen Verzichte sind nicht vergleichbar. 

Ich hatte Ihnen eine Bauanleitung für eine Vision versprochen. Schritt 1: Zuerst die Unruhe zulassen. Dann die Luft anhalten. Im Luftanhalten beginnt man zu hören. Im Hören beginnt man zu sehen: die anderen. Und wenn man die anderen sieht, noch einmal die Luft anhalten! Das scheint ohnmächtig. Und ist das genaue Gegenteil. Es ist Ehre. Es ist Achtung. 

Ehren, was war. Ehren, was ist. 
Ich erinnere mich an ähnliche Beispiele in Bezug auf die Stadt.

Eine Gruppe von Menschen wehrte sich gegen die Erweiterung des Steinbruchs, eine andere wehrte sich gegen den Abriss des Löwens, wieder eine andere erhob Einspruch gegen die Emsbachverbauung, und vor Kurzem verhinderte eine Gruppe den Abriss eines der ältesten Häuser der Stadt. Die Stadt schien im Trotzalter oder in der Pubertät. Alle diese Bürgerinitiativen sind ein Zeichen dafür, dass Bürger etwas Bestimmtes ehren, deshalb wehren sie sich. Im sich wehren liegt natürlich Aggression – andererseits aber auch Identifikation: Wenn ich weiß, wogegen ich bin, habe ich andererseits auch eine Ahnung, wofür ich bin. Und wenn ich entdecke, wofür ich bin, dann entdecke ich auch, wer/wie ich bin. Um diese Entdeckung des wer/wie geht es letztendlich auch im Stadtentwicklungsprozess. Denn aus dem wer/wie ergibt sich das wohin.

Stadt als Familie

Sie wissen inzwischen, ich muss mit Bildern arbeiten. Sehen wir doch unsere Stadt mal als Familie: Die Bürger wären die Kinder, die gewählten Politiker wären die gewählten Eltern dieser Kinder. Wenn die Kinder im Trotzalter oder in der Pubertät sind, wehren sie sich gegen Vorschriften, gegen Entscheidungen, die für sie keinen Sinn machen. Aggression wird frei, ein Identifikationsprozess beginnt. Die Kinder entdecken, dass sie Wunschkinder (Wunschbürger) sind und beginnen, Forderungen zu stellen: Ich will! Sie alle kennen diese Phasen von sich selbst, von Ihren tatsächlichen Kindern. Um Familie zu bleiben, beginnt man zu diskutieren. Jugendliche beginnen ihre eigenen Wohnungs-, Berufs- und Berufungsvorstellungen (Visionen) zu formulieren. Eltern überlegen, inwieweit was finanzierbar ist, inwieweit der Wunsch allein auch den Talenten des Kindes entspricht. Das ist nicht leicht für die gewählten Eltern, die Politiker. Es benötigt Stärke, Geduld, Gelassenheit, Weisheit und Vertrauen in die Kinder. 

Unsere FamilieStadt hat über 16.000 KinderWunschbürger. Wie in jeder Familie gibt es die Lautstarken, um die man sich vermeintlich keine Sorgen zu machen braucht. Es gibt die ganz Stillen, auf die man aufpassen muss, dass sie nicht übersehen werden. Es gibt die Versöhnungskinder, auf die man erst recht aufpassen muss, dass sie sich selbst bleiben. Es gibt Kranke, die mehr an Pflege bedürfen. Es gibt Lernschwache, mit denen man üben muss. Es gibt die ganz Talentierten, die uns in ihrer Schnelligkeit oft ermüden. Es gibt die Babys, die noch nicht für sich selbst sprechen können usw. Das führt mitunter auch zu Streitereien unter den KindernWunschbürgern – und das führt mit Sicherheit zu einer Sauerei im Haus! Welcher Gast wollte da noch kommen, wenn das Wohnzimmer eine Abstellkammer geworden ist? Wenn sich einer im Klo eingesperrt hat und brüllt? 

Eine Familie zu leiten bringt die Eltern Politiker daher oft an ihre persönlichen Grenzen. Dann fragen sie Freunde um Rat: Jessas, der Sohn/die Tochter nervt, ist das bei dir auch so? Die Freunde versichern vielleicht: Das ist normal! Wenn die Situation aber verfahren ist, man vorläufig nicht mehr miteinander sprechen kann, man dennoch liebt und Familie leben will, dann zieht man Sozialarbeiter und Familientherapeuten hinzu, Profis eben.
Das haben in unserer StadtFamilie die ElternPolitiker auch einstimmig getan, dafür gebührt ihnen Dank! Mit Wolfgang Ritsch und Karin Metzler haben sie sich Profis anvertraut, die uns KinderWunschbürger und sie selbst in dieser jugendlichen Revolte- und Orientierungsphase unterstützen sollen. Beide Seiten müssen sich verändern, zum Wohl der ganzen StadtFamilie!
Das heißt, die ElternPolitiker hören jetzt erst einmal zu (in der Lenkungsgruppe) und stellen zur Verfügung, was nötig ist, um alle Wunschbürger zu informieren, dass sie jetzt ohne Stress ihre Visionen formulieren dürfen, ja sogar sollen. Das heißt zunächst, denjenigen suchen, der verschwunden ist. Sich fragen, wie man den Brüllenden aus dem Klo lockt. Wir brauchen ALLE für das Gespräch darüber, wie das Haus, die gebaute Stadt und der dazugehörige Garten in Zukunft aussehen sollen. Und auch die Freunde darf man nicht vergessen: Machen wir Licht vor der offenen Tür, dass sie wissen, wir sind zu Hause!
Wie und wo Sie untereinander ins Gespräch kommen können, um sich über diese Visionen auszutauschen, darüber haben wir in einem Seminar nachgedacht. Diese Vorschläge und Angebote werde ich Ihnen bald hier beschreiben.
Und wenn Sie jetzt schon eine Vision haben, die ich hier beschreiben soll, rufen Sie mich an, Tel: 0680-2324770. Ich freue mich auf Sie!

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