Türen gehen auf 2

 
Briefe an die Bewohner/innen einer Stadt
 

Von Gabriele Bösch 

Bedenkzeit hatte ich mir erbeten. Stadtentwicklungsprozess. Über einen Prozess zu schreiben setzt voraus, dass man zumindest einen Zipfel von diesem Prozess erwischt, um ihn mal kurz anzuhalten und zu studieren.
Das ist wie mit einem Pickel, dachte ich, drück ihn aus, dann siehst du, wie groß der Krater ist. Ich betrat das virtuelle Hohenems im Internet und fühlte mich sofort ertappt! Da habe ich für bedrohte Völker gespendet, aber nicht einmal das Interview mit DI Wolfgang Ritsch gelesen, der mit der Leitung des Stadtentwicklungsprojekts „Lebenswertes Hohenems“ betraut war. Da war es schon wieder, das Wort Ver-trauen. Aber ein schlechtes Gewissen ist ein schlechter Ratgeber, dachte ich, und machte die Seite wieder zu. Vielleicht geht es Ihnen ähnlich? Ich jedenfalls muss mir meine eigenen Gedanken machen. 

Karin Metzler hatte mich eingeladen, am Prozesskernteam mitzuarbeiten. Ich versuchte mir, unter diesem Begriff etwas vorzustellen, während ich im Garten das Obst für den Most auflas. An einer Birne dachte ich mir: Faulen ist auch ein Prozess. Der Prozess beginnt dort, wo die Birne aufgeschlagen ist: Bumms. Das Kernteam bilden die Bakterien, die Mikroorganismen, die sich dort an der Wunde einbringen, unter Sauerstoffmangel. Im einfachsten Falle gären die Birnen allein vor sich hin und werden unter anderem zu Alkohol, der im Gras versickert. Das dauert lange, man kommt um den Alkohol und um den wunderschönen Prozess des Mostens, des Pressens, diese ganze sinnliche Angelegenheit. 

Ich beschloss also, eine nicht-faule Birne unter anderen nicht-faulen Birnen zu sein und mich dem Prozess des Pressens auszusetzen, unter gewissem Sauerstoffmangel. Ich sagte Ja! und ging zum ersten Treffen des PKT, des Prozesskernteams. Prompt war die erste Aktion auch die, dass man die 10 bereitwilligen, nicht-faulen Birnen (in Folge: Aktionisten) noch vor dem Eingang zur Presse (Collini-Hauptzentrum) fotografierte! Vorher-Nachher? Ein bisschen blieb mir doch das Lachen im Hals stecken. 

Zehn unterschiedlichste Menschen aus Hohenems, die sich größtenteils absolut fremd waren, saßen nun also um einen Tisch und stellten sich einander vor: Ein Museumsleiter, zwei Mitglieder der Stadtvertretung, zwei Raumplaner, der Vertreter des VfB, ein Revisor, eine Designerin, eine Schriftstellerin, ein Lehrer. Mag. Karin Metzler (Organisationsentwicklerin für Veränderungsprozesse) und DI Wolfgang Ritsch (Architekt, Prozessbegleiter) leiteten diese Sitzung.
Gebaute Architektur ist zunächst soziale Architektur lautet das Schlagwort. Solche Aussagen muss ich für mich immer in greifbarere Bilder übersetzen: Das heißt, wenn ich mit meinem Nachbarn zusammen mosten gehen will, weil er das große Auto hat und ich das Obst, müssen wir uns im Vorfeld über das Verhältnis Äpfel/Birnen einig sein, denn je nach Verhältnis schmeckt der Most anders und er soll uns ja beiden schmecken. Wau! Man stelle sich 16.000 Menschen und ein paar Zerquetschte vor, die zusammen Mosten gehen! Wenn ein solches Projekt schief geht, dann kann man den Most ausleeren und sich denken, wir probieren‘s nächstes Jahr noch einmal. Hingegen, hat man in einer Stadt markante Häuser abgerissen, und bereut das dann, ist das nicht wieder gut zu machen. Bevor eine Stadt sich auf baulicher Ebene sanieren und entwickeln kann, müssen ihre Bürger/innen sich einig sein, wie das geschieht und wohin sie die Stadt gemeinsam lenken wollen. 


Ja, jetzt war mir klar, wieso dieser ganze Stadtentwicklungsprozess mir einerseits riesengroß und andererseits auch nebulös erschien. Bevor im kommenden Frühjahr eine Zukunftswerkstatt mit möglichst vielen Bürgern, die ihre Vorstellungen und Wünsche zur Entwicklung der Stadt äußern, stattfinden kann, muss man überhaupt erst einmal auf 16.000 Menschen zugehen und sie ermuntern, sich zu äußern! 

Tja, wenn ich Sie als Partner brauche, um zu mosten, muss ich zuerst auf Sie zugehen. Das wiederum setzt wohl voraus, dass ich Sie kenne. Ich könnte natürlich eine Annonce aufgeben: „Suche Partner zum Mosten“. Ob Sie darauf antworten würden? Das ist wohl so ähnlich wie mit der virtuellen Seite der Stadt Hohenems: Man macht sie auf und wieder zu. 

Deshalb wurde das Prozesskernteam ins Leben gerufen. Wir sollen uns Gedanken machen, wie wir als Einzelne uns mit Ihnen als Bürger der Stadt vernetzen, Sie kennen lernen können, um Sie einzuladen, sich Gedanken zu machen, wie sich die Stadt entwickeln soll, was Sie brauchen, um sich wohlzufühlen. Und diese Vorschläge sollen dann auf der Zukunftswerkstatt 2013 präsentiert werden. So bringen sich alle für alle ein. Die Frage, die uns zehn Menschen vom PKT dann umtrieb, war: Welche Talente besitzen wir, oder auch, was brauchen wir, als Einzelne, um mit Ihnen ins Gespräch zu kommen? Mein Talent sei Schreiben, antwortete ich. Und dazu bräuchte ich eine Seite im Gemeindeblatt, forderte ich. (Vielleicht spürte ich schon ein bisschen den Sauerstoffmangel!) Ich wolle Briefe an die Bürger/innen der Stadt schreiben, erklärte ich, in meinen einfachen Worten von diesem Prozess erzählen, um später in diesen Briefen einzelne Menschen und ihr Hohenems vorzustellen. Ich bin ganz schön mutig, finden Sie nicht? Und wenn Sie auch mutig sind, dann rufen Sie mich an: Tel: 0680/2324770. Ich komme Sie besuchen und beschreibe Ihre Vision, genau hier. Es kann auch sein, dass ich zum Telefonhörer greife und Sie einen Anruf von mir bekommen. Und auch die neun anderen Menschen aus unserem Team werden auf ihre Art auf Sie zukommen. Wir freuen uns auf Sie! 

Lesen Sie nächste Woche hier: Bauanleitung für eine Vision

Das Prozesskernteam

Sarah Aberer, Harald Achenrainer, Gabriele Bösch, Mustafa Can, Bernd Federspiel, Johannes Inama, Brigit König, Clemens Mathis, Edith Mathis, Karin Metzler, Gudula Pawelak, Karl-Friedlich Peter, Günther Reis, Wolfgang Ritsch

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