Nicht die Karikaturen sind gefährlicher Unsinn ...


Kommentar der anderen | Rüdiger Wischenbart, 21. September 2012, 18:46

... sondern die Reaktionen vieler westlicher Politiker und Medien, deren Besorgnis- und Verbotsrhetorik just jene Wahrnehmungsmuster verstärkt, die sie damit vorgeblich bekämpfen wollen

Zum Schaden der Meinungsfreiheit und der moderaten Muslime.

Ich plädiere für die Aufführung des Films Innocence of Muslims in Europa. Mein Argument ist simpel: In einer hochgradig vernetzten, und entsprechend auch fragmentierten Welt mit Myriaden von Partikularismen ist universelle Verantwortlichkeit eines jeden für jedes schlichter, letztlich auch gefährlicher Unsinn. Das allerdings hat ebenso komplizierte wie handfeste Konsequenzen, kulturell, politisch und letztlich auch religiös.

Ich besuche immer wieder Buchmessen in arabischen Ländern. Neben vielem anderen gibt es auch jeweils eine Menge Bücher zu den wildesten Verschwörungstheorien von Zionisten und Amerikanern gegen Muslime. Meist fehlen auch nicht die Klassiker der antisemitischen Literatur wie die (gefälschten) Protokolle der Weisen von Zion. Ob dies zulässig ist, ist Sache der lokalen Veranstalter, und ich erinnere mich nicht, dass sich der Börsenverein des deutschen Buchhandels, oder gar ein europäischer Regierungspolitiker je dafür zuständig oder auch nur übermäßig interessiert gezeigt hätte. Und das ist natürlich gut so.


Umgekehrt ist es klar, dass in Europa Hasspredigten, Aufrufe zur Gewalt oder antisemitische Traktate untersagt werden können, wie auch die hier das Prinzip der Meinungsfreiheit als hohes Gut betrachtet und sogar in den Verfassungen der Staaten garantiert wird. Auch das Prinzip der strikten Trennung von Religion und Staat ist etwa in Frankreich, aber auch in Österreich rechtlich festgeschrieben

Ich kenne und liebe das Pariser Satiremagazin Charlie Hebdo seit mehr als drei Jahrzehnten, und wollte nicht verzichten auf die Unmengen an Zeichnungen, in denen neben Sexualität gerade auch Religion mit immer wieder herausfordernden Darstellungen der Vertreterinnen und Vertreter aller Weltreligionen, gut erkennbar und drastisch zum Grundbestand der Satire gehören und aufregen.

Warum soll Charlie Hebdo jetzt davon abrücken, nur weil - nach derzeitigem Nachrichtenstand -ein paar christliche Fundamentalisten in Kalifornien einen Film gedreht haben, der zu ausufernden Reaktionen in einigen islamischen Ländern geführt haben? Vor allem: Weshalb muss der Sprecher des US-amerikanischen Präsidenten Barack Obama diese Zeichnungen von Charlie Hebdo politisch einordnen und bewerten? Weshalb will die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel Position beziehen, ob man den kalifornischen Film, der zwei Monate lang unbemerkt auf Youtube geschlummert hatte, in Deutschland in einem Kino vorführen dürfen soll?

Hat globale Politik im September 2012 keine anderen Themen, um Profil zu entwickeln? Offenbar nicht, weil die Eskalation - nach der Hysterisierung der arabischen Straße nun in der Kommentierung durch die Global Leaders - ihre bizarren Kaskaden produziert. Es bleibt unverständlich, weshalb sich die deutsche Bundeskanzlerin und ihr Außenminister - oder ihre österreichischen Kollegen -nicht prononcierter äußern über die Verantwortung der Regierungen in Kairo, Tripolis oder Tunis, die Sicherheit deutscher und europäischer Bürger und deren diplomatischen Vertretungen zu gewährleisten und allenfalls die Abrechnungen für die Wiederherstellung von Botschaftsgebäuden zustellt.

In allen islamischen Ländern - in Ägypten ohnehin, aber auch in Pakistan - spielen Internet und mobile digitale Kommunikation (per SMS, Facebook etc.) eine zentrale Rolle für das Entstehen einer Zivilgesellschaft und individueller Autonomie. Dies nützt allerdings auch den religiösen Fundamentalisten, die ihre Predigten hochladen. Technologie, das ist eine alte Regel, ist eben an sich nicht gut oder böse.

Wer bombardiert?
 

Mir sind hier die Potenziale für die Zivilgesellschaft in den arabischen (bzw. weiter gefasst: in den muslimischen) Ländern wichtiger, etwa wenn im Libanon und anderswo den Aufgebrachten entgegengehalten wird, dass nicht ein dummer Film, sonder das syrische Regime muslimische Brüder und Schwestern bombardiert. Denn es ist doch längst nicht so, dass eine fiktive, geschlossene muslimische Gesellschaft hier Sturm - oder gar Amok - läuft.

Ich bin dafür, dass sich europäische Spitzenpolitiker nicht mit der Aufführungspraxis unsinniger Filme beschäftigen, sondern Filme abhängig vom Interesse des Publikums - also auch: der Bürger - gezeigt, diskutiert und allenfalls dann wieder aus dem Blickfeld verschwinden dürfen. Ich bin ganz strikt für die Trennung von a) Staat, b) Religion und c) Kultur und Kunst, und d) territorialer Zuständigkeiten.

Wenn internationale Politik irgendein steuerndes Gefüge aus Handlungsnormen hat, dann sollte jedenfalls klar sein, dass die privat organisierte Produktion eines Films in Kalifornien, die Integrationspolitik und der demokratische Respekt gegenüber Muslimen in Deutschland oder Österreich sowie die Straßen in Jemen jeweils unterschiedliche Territorien mit unterschiedlicher politischer Zuständigkeit sind.

Lokale Begrenzung


Ich bin kein Jurist, aber ich vermute, dass paradoxerweise gerade die Globalisierung - und damit das universelle Internet - hier Disziplin zur lokalen Begrenzung einfordern. Ganz praktisch setzt hier auch der Hebel für eine wirksame Deeskalationsstrategie an. Nichts ist politisch, aber auch medial absurder als sich derart der Vernetzung auszuliefern und politisches Handeln diktieren zu lassen.

Deshalb argumentiere ich gegen die Beschneidung wichtiger Grundrechte, wie etwa einzuschränken, welche Filme gezeigt werden dürfen, und welche nicht, und ich denke, es gibt gute politische und zivilgesellschaftliche Mittel, um unerwünschte Nebenwirkungen verantwortlich einzugrenzen, statt die eigenen Grundsätze und Werte eilfertig zu begraben. (DER STANDARD, 22.9.2012)
 

Rüdiger Wischenbart ist freier Journalist und Berater mit Schwerpunkt Buch und Verlagswesen, er lebt in Wien.

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