Die Schweigeregierung

Kolumne | Kollers Klartext

Die Schweigeregierung
Von Andreas Koller | 09.11.2013 - 06:30 | Kommentieren

Transparenz? Brauchen wir nicht. Die alte Regierung schnapst die neue Regierung aus. Und zwar hinter verschlossenen Türen. Das ist verständlich. Demokratisch ist es nicht.
 

Ein gewisser Wolfgang Schüssel, mitunter ein Mann weniger Worte, wurde einst als Schweigekanzler berühmt. Derzeit haben wir eine ganze Schweigeregierung. SPÖ und ÖVP verhandeln hinter verschlossenen Türen über die nächste Koalition. Sie reden aber in der Öffentlichkeit nicht darüber.
Wer sich die Koalitionsverhandlungen der vergangenen Jahrzehnte in Erinnerung ruft, wird Verständnis für die klausurartige Inszenierung der diesjährigen Regierungsgespräche aufbringen. Denn Koalitionsverhandlungen früher - das war stets eine wilde Kakofonie der dissonantesten Meinungen. Jede Partei, jeder einzelne Verhandler interpretierte die Verhandlungsergebnisse anders, und das in aller Öffentlichkeit. Dementis und Gegendementis, Richtigstellungen und Korrekturen schwirrten durch die Lüfte. Der Koalitionsstreit war früher da als die neue Koalition, deren Ansehen bereits im Keller war, noch ehe sie angelobt war.

Daher diesmal: Schweigen. Damit kein Streit an die Öffentlichkeit sickert. Irgendwie verständlich.

Freilich gibt es ein riesiges "andererseits". Es besteht in der Feststellung, dass eine Demokratie ohne Transparenz nicht möglich ist. Weshalb die Öffentlichkeit das Recht darauf hat, informiert zu werden. Dieses Recht ist den schweigsamen Verhandlern herzlich egal. Es passt ganz gut ins Bild, dass Österreich - wie dieser Tage vom ORF-Hörfunk großmächtig gemeldet - bei einem internationalen Transparenzranking Platz 95 von 95 getesteten Ländern erzielt habe. Nun nehmen wir uns die Freiheit, dieses Ranking, das Länder wie Uganda, Indien, die Ukraine, den Kosovo, Russland und den Jemen weit besser platziert als unser Land, als blühenden Schwachsinn zu betrachten. Aber dennoch: Österreich hat's tatsächlich nicht so mit der Transparenz. Das merkt man am Vorhandensein eines übermächtigen Amtsgeheimnisses, das die öffentliche Verwaltung vor den neugierigen Blicken von uns Untertanen abschirmt. Und man merkt es daran, dass der überwiegende Teil der Öffentlichkeit die Tatsache, dass die Koalitionsgespräche diesmal im Hinterstübchen stattfinden, schulterzuckend hinnimmt.

Und das kann nicht hingenommen werden. Es kann nicht hingenommen werden, dass die Regierenden in allen Sonntagsreden wieder eine Weiterentwicklung der Demokratie in Aussicht stellen; und uns gleichzeitig das Wesen der Demokratie - nämlich die Information - vorenthalten. Diese Information, gegeben durch die Koalitionsverhandler, sollte möglich sein, ohne dass gleich wieder, wie in früheren Zeiten, der Koalitionsstreit über die Interpretationshoheit der Verhandlungsergebnisse ausbricht. Erwachsene Menschen, und das sind die Koalitionsverhandler, sollten zu professioneller Verhandlungsführung in der Lage sein. Sie sollten in der Lage sein, die eigene Position darzustellen, die davon abweichende Position des Partners zu akzeptieren, sich auf eine gemeinsame Politik zu einigen und diese in den kommenden fünf Jahren zu vertreten. Sie sollten in der Lage sein zu akzeptieren, dass der Kompromiss keine Niederlage ist, sondern das Wesen der Politik.

Diese erwachsene Art der Verhandlungsführung scheitert an der langen Geschichte, die SPÖ und ÖVP miteinander verbindet - und die die beiden Parteien gleichzeitig trennt. Seit 1987, als SPÖ und ÖVP erstmals seit den 60er-Jahren wieder zusammenfanden, stellten sie nie das Gemeinsame in den Vordergrund, sondern stets das Trennende. Sie hatten nie das Bedürfnis, den Österreichern mitzuteilen, was sie gemeinsam erreicht haben. Sie betonten lieber, wo sie den Partner über den Tisch gezogen hatten. Nicht das Ziel, das Verhindern stand im Mittelpunkt. Politik wurde ins Negative gedreht. Nicht das Erreichen, das Verhindern wurde zum Endpunkt des politischen Handelns. Als erfolgreich galt nicht der Minister, der einen Plan umsetzte, sondern der, der den Plan seines Gegenübers verhinderte.

Die Medien spielten bei dem Spiel gern mit und gaben mit Vorliebe Haltungsnoten. Sie stellten nicht die Frage: "Was bringt diese und jene Maßnahme?", sondern: "Welche Partei hat sich durchgesetzt?" Mit der Folge, dass all das, was so dringend nottäte - die Reform der Bildungspolitik, des Föderalismus, der staatlichen Verwaltung, des Steuersystems -, festhängt im Gestrüpp der Verhinderer.

So sieht Österreich heute aus.

Das Schweigen der Verhandler weckt den schlimmen Verdacht, dass sich daran nichts geändert hat. Andernfalls gäbe es ja keinen Grund für sie, so beharrlich zu schweigen.

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