Die Erzählungen


Von Franz Kafka

Eine der vielen wunderbaren Erzählungen ist der "Hungerkünstler"

Der Hungerkünstler zieht mit seinem Impresario durch die Lande. Überall findet seine Kunst zahlreiche Zuschauer. Man bewacht ihn, damit er nicht heimlich isst, und er genießt die Bewachung, da sie ihm das Hungern erleichtert. Der Impresario muss den Hungerkünstler jedesmal zwingen, das Hungern zu beenden. Denn der Hungerkünstler glaubt, noch viel länger fehlerlos hungern zu können.

Aber dann tritt eine Wende ein. Die Menschen wollen ihn nicht mehr hungern sehen. Er wechselt zu einem großen Zirkus, wo er am Rande der Vorstellung, auf halbem Weg zwischen Zirkuszelt und Raubtiergehegen, einen Käfig bekommt, wo er hungern kann. Die Menschen, die früher ausschließlich kamen, um ihn hungern zu sehen, die ihn täglich besuchten, ziehen nun vorbei, ohne ihn zu bemerken. Nur wenige beachten ihn und werfen einen Blick auf die Tafel, die zeigt, wie lange er schon hungert.
Allmählich vergisst man ihn, und eines Tages wundern sich die Zirkusleute über den scheinbar leeren Käfig. Man öffnet den Käfig und zieht den Abgemagerten halbtot aus dem Stroh. Er bittet die Zirkusleute um Verzeihung. Er hätte immer Bewunderung für seine Kunst verlangt, aber zu unrecht. "Weil ich hungern muss, ich kann nicht anders. Weil ich nicht die Speise finden konnte, die mir schmeckt. Hätte ich sie gefunden, glaube mir, ich hätte kein Aufsehen gemacht und mich vollgegessen wie du und alle."


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