Türen gehen auf 1


Briefe an die Bewohner/Innen einer Stadt

Von Gabriele Bösch

Die meisten von Ihnen werden mich nicht kennen, manche haben vielleicht meinen Namen schon gehört. Ich bin Schriftstellerin.

Da ich von diesem schönen Tun aber nicht leben kann, bin ich für bezahlte Aufträge immer offen. So geschah es, dass mich auf der Präsentation meines neuen Buches Brigitta, eine befreundete Regisseurin, ansprach: „Du Gabi, ich hab da vielleicht einen Job für Dich! Die Stadt Hohenems sucht so etwas Ähnliches wie einen Stadtschreiber…“.
Ich war überrascht. Hohenems ist für mich natürlich eine Schriftstellerstadt. Monika Helfer, Michael Köhlmeier, Paula Köhlmeier und Reinhold Bilgeri haben sie geprägt, viele andere traten und treten in ihre Fußstapfen. Es gab ein Literaturhaus, es gibt den Hohenemser Literaturpreis usw. Aber von einem Stadtschreiber hatte ich noch nichts läuten hören, denn ein Stadtschreiber ist ein Aufenthaltsstipendium für Schriftsteller. In einem Turmstübchen im Palast sitzen und schöne Geschichten schreiben, stellte ich mir vor. Sicherheitshalber ging ich in mich und horchte. Da vernahm ich tatsächlich ein Läuten: meine eingebaute Alarmglocke. Ich wusste doch: Wie ich, hat auch die Stadt Hohenems kein Geld!


Ich glaube, sogar meine Schritte schrillten, als ich zu jenem ersten Treffen mit Brigitta und der von der Stadt Hohenems engagierten Organsiationsentwicklerin Mag. Karin Metzler nach Dornbirn (*) kam. (* Fehler Nummer eins, läutete das Echo meiner Alarmglocke: Wenn man über Ems schreiben will, muss man sich auch in Ems treffen!) Nun, da saß ich in der Sonne und wartete, weil ich Nervösling meistens zu früh dran bin. Ich vertraue Brigitta, dachte ich, Brigitta vertraut Frau Metzler und mir, also werde ich Karin Metzler auch vertrauen. Aber davon erzählte ich den beiden nichts, als sie eintrafen. Vorschusslorbeeren sind wirklich die einzigen, die man für sich behalten darf! Bei meinem Kaffee und ihren Fruchtsäften versuchte Karin Metzler also, Brigitta (in diesem Falle Vermittlerin) und mich (die zu Verführende) darüber aufzuklären, was es mit dem Stadtschreiber oder der Stadtschreiberin auf sich habe.

Ich weiß nicht mal, ob es ein Turmstübchen im Palast gibt, aber plötzlich regnete es da hinein. Ich vernahm Wörter wie Stadtendwicklung, Wieschn (auf Deutsch: Vission), Prozesskerntim, Umlenkgruppe, Zugkunftswerkstadt. Nein, das sind keine Rechtschreibfehler, das soll nur veranschaulichen, dass ich eigentlich Bahnhof verstand, und der ist ja bekanntlich in Hohenems im Umbau. Ich bin nicht nur Nervösling, ich bin auch Naivling und ein Kleinling – ich mag so Große Wörter nicht. Sie sind irgendwie wie Seifenblasen, bevor man sie richtig schillern gesehen hat, verpuffen sie schon. Da ist mir ein Bahnhof lieber, der hat einen klaren Eingang, einen klaren Ausgang, der hat sogar eine Unterführung, und schnurgerade Gleise, zwischen denen überall Unkraut wachsen darf. Man kann ankommen und abfahren. Man kann sogar stehenbleiben und dem lebensgefährlichen Agieren der Baggerfahrer knapp unter den Oberleitungen zusehen, und hoffen, dass alles gut ausgeht.
Mitten in dieses Bild (ich war grad beim Hoffen angelangt) sagte Karin Metzler dann einen Satz, den ich verstand. Plötzlich stand ich unter Strom. Eines der schnurgeraden Gleise (Misch dich ja nicht ein! Halt dich da heraus! Am Ende zahlst du!) war plötzlich ganz abstrakt zweimal von Hirn zu Herz nach rechts verbogen. Ich war abgefahren und wieder angekommen, ich stand an einem aufgelassenen Bahnhof, aber aus dem Lautsprecher tönte es laut und deutlich: „Ich sehe diesen Stadtentwicklungsprozess als große Friedensbewegung.“

Frieden ist auch so ein großes Wort, dachte ich und dass mir da eine Visionärin gegenübersaß. Turmstübchen ade! Dieses Wort Frieden aber verpuffte nicht. Es blieb in Karin Metzlers Augen aufrecht stehen, es verschmolz mit dem Lächeln in ihrem Gesicht. Kennen Sie das? Plötzlich vertraut man sich selbst, da man den anderen vertraut. Weil dieses Lächeln ansteckend war, weil wir dieselben Bilder sahen, winkte ich nicht ab, sondern erbat mir Bedenkzeit. Wieschn, Vission Hohenems. Darüber schreiben. Aber worüber nun genau, und wie? Das werden wir herausfinden, sagte Karin Metzler, alles sei ein Prozess. Ja. Genau.

Eine Theater-Regisseurin hatte mich also einer anderen Regisseurin, einer Friedens-Regisseurin vorgestellt. Meine Schuhe quietschten, als ich zur Tiefgarage schlenderte. Ich bin eine mehr oder weniger putznormale Frau. Wie sollte ausgerechnet ich einen solch großen Prozess beSchreiben und verSchriftlichen, da ich mit diesen großen Wörtern nichts anzufangen wusste? Kann man große Wörter verkleinern? Oder sie zumindest mit vielen kleinen Wörtern füllen? Aber vor allem: Wie sollte ich meinen Familienmitgliedern erklären, dass ich schon wieder ein Ährenamt aufgerissen hatte? Hm, dachte ich, ich muss ihnen verklickern, dass diesmal die Ähre schon reif ist, und wenn die Witterung günstig ist, werden die Körnchen fallen und sich aussäen…

Wie es weiter ging, wie aus „Wieschn“ Vision wurde, und aus „Zugkunftswerkstadt“ Zukunftswerkstatt lesen Sie nächste Woche an derselben Stelle. 


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