Trotzdem. In Hohenems geschieht manches trotzdem.


Trotzdem. In Hohenems geschieht manches trotzdem. Oder vielleicht gerade deswegen. Der Journalist Walter Fink hatte einmal retrospektiv gemeint, dass er froh sei, in den 70er Jahren jung gewesen zu sein, denn damals gab es Widerstand. Der sei heute verschwunden oder kommer-zialisiert. Genügend Widerstand trifft man heute noch in Hohenems und neben den Verbitterten gibt es auch jene, die sich unter diesem Druck zusammen finden und mit viel Eigeninitiative und Unbeirrbarkeit Dinge aufbauen, die woanders längst verwässert wären. Wer hier sein Schiff in Gang bringt und seinen Kurs hält, unabhängig von Sturmböen und Hagelschlag einer streitsüchtigen Politik, hat ge-nügend Fahrt und profitiert von den lichten Momenten, die es durchaus gibt. 


 Lichtblick Visionsprozess zur Stadtentwicklung


Auf die Frage Peter Niedermairs, welche Rolle die Historie, die Wirkmacht der Geschichte im Stadtentwicklungsprozess „Vision Stadt Hohenems“ (2012-14) spielte, antwortete der verantwortliche Prozessleiter Arch. Wolfgang Ritsch mit der Hypothese: „Es gab ständig Muster, die sich wiederholten und für mich noch nicht zuordenbar sind, weil sie rational nicht erklärbar waren. Viele historische Entwicklungen vom 13. bis ins 18. Jahrhundert haben sich in Hohenems dadurch ausgezeichnet, dass sie autoritär und nicht demokratisch durchgesetzt worden waren, oft ohne Würdigung und Respekt vor der Bevölkerung. Im Konfliktfall kamen auch bei unserer Arbeit alte hierarchische Muster zum Vorschein, die aus meiner Sicht nicht zeitgemäß waren. Zum Teil fühlte man sich an Inquisitionsgerichte erinnert.“ Der Visionsprozess, von der Stadt in Auftrag gegeben, verschaffte durch die Gespräche und Initiativen vor allem den privaten Akteuren Auftrieb und gab Anlaß zu nachhaltiger Kooperation. Wer hier das viele Papier kritisiert, das städtischerseits in Schubladen verschwinden mag, der übersieht, dass vor allem der Prozess selbst wertvolle, soziale Energie generiert hat.



Die Gleichzeitigkeit von Verfall und Blüte


Schon seit den 70er Jahren entstehen trotz lokaler Widrigkeiten regelrechte Glanzpunkte: Von Gerd Nachbaurs Schubertiade bis hin zu Bernhard Amanns Randgruppenarbeit und seinem Verein Transmitter. Aber auch rund 20 Jahre später wachsen mit dem intellektuellen Biotop um das Jüdische Museum und den sehr ganzheitlichen Projektentwicklungen von Gerhard Lacha und Markus Schadenbauer Initiativen heran, die landesweit ihresgleichen suchen. All dies geschieht. Zeitgleich verelenden Reputation und historisch wertvolle Bausubstanz in Kerngebieten, die seit Jahrzehnten dahinsiechen, oft nur mehr vom Denkmalschutz verteidigt. Doch vermutlich braucht es genau solche Tiefpunkte, die ein Quartier mit Potential zu einem Boden für Pioniere und eine neue, unerwartete Entwicklung machen. Keiner rechnete mehr mit Hohenems.



Lokalaugenschein: Spazieren wir!


Nur wenige Monate, nachdem die Vision zwischen zwei signalrote Buchdeckeln gepresst wurde und die sorgfältig ausgearbeitete Wahrnehmungs- und Visionsarbeit gerade wieder von einer rabiaten Stadtpartei vom Tisch gefuchtelt wird, die noch dazu vor den Gerichten um den Bürgermeistersessel streitet, nur wenige Monate später also spaziere ich durch die Hohenemser Marktgasse.



Samstag scheint ein guter Tag zu sein. Es gibt für meinen Spazier-gang eine Reihe von Adressen und Telefonnummern in meinem Notizbuch, die ein interessantes Netz durch die Innenstadt zwischen Marktgasse und jüdischem Viertel ziehen. Ich entdecke eine ausgedehnte Renovierungsbaustelle am Eingang zur Gasse. Im Hofinneren dreht sich eine Mischmaschine vor einem markant polygonalen Rohbau. „Architekt Bernardo Bader“ lese ich am Bauschild, der doch vom islamischen Friedhof, denke ich und werde aber gleich abgelenkt von einem wild bemalten Altbau, der mir schon als Relikt des diesjährigen Kulturfestivals „Emsiana“ beschrieben wurde. Der Künstler Tone Fink hat dieses Haus, das vor dem Umbau steht, mit Zeichen und Mustern tätowiert, als wolle er ihm Mut für das Kommende zusprechen. Insgesamt sechs schmal geschnittene Bauparzellen befinden sich in Umbau, bzw. werden neu bebaut. Einer der Läden wird gerade eröffnet. Die Fassade zeigt eine gerade monochrom restaurierte Ornamentierung in Secco-Technik und innen strahlt ein kleiner Luster an einer dunklen, historischen Kassettendecke. Schmuck in Handarbeit, erklärt mir die junge Designerin, die hier Werkstätte und Geschäft eröffnet. Die Kassettendecke wurde aus dem Obergeschoss übertragen und in Kleinarbeit ergänzt, erklärt mir ihr Vater, der Architekt Ernst Waibel, der mit seinem Partner Elmar Nägele seit vielen Jahren wertvolle und geduldige Planungsarbeit leistet. Die Renovierungsprojekte Jüdische Schule, das ehem. Armenhaus oder das Stadthaus mit dem Lokal „Frida“ und dem Yogastudio für den Projektentwickler Markus Schadenbauer zählen dazu. Vieles scheint hier eng verflochten. Man glaubt an diesen Standort, wohnt auch selbst dort und unterstützt sich dementsprechend.



Geschichte eines vielfältigen Aufbaus


Ausgehend von Erwerb und Sanierung der Villa Heimann Rosenthal durch die Stadt Hohenems und der 1991 folgenden Gründung des jüdischen Museums traten private Initiativen und Investoren auf, die gegenläufig zum Verfall das historische Zentrum schrittweise restaurierten. Einer dieser privaten Unternehmer war Gerhard Lacha, der mit der wirtschaftlich und denkmalpflegerisch erfolgreichen Sanierung des „Elkan-Hauses“ 1997 ein Zeichen setzte. Er ermöglichte wenige Jahre später mit einem Immobilienbeteiligungsmodell den Rückbau der ehemaligen jüdischen Synagoge in eine Musikschule und Kommunikationszentrum. Es folgten weitere Sanierungsprojekte von denkmal-geschützten Bauten, die das ehemalige jüdische Viertel in ein attraktives Wohn- und Geschäftsquartier verwandelten.


Auch die Markstrasse, die ehemalige „Christengasse“, wurde von wenigen unbeirrbaren Geschäftsleuten als Standort gehalten und erfährt seit wenigen Jahren eine neue Dynamik. Die Lacha und Partner Gmbh. hat über ihr Investitionsmodell bereits neun Bestandsbauten erworben, führt im Dialog mit ausgewählten Planungspartnern denkmalgerechte Sanierungen durch und vermietet die entstandenen Wohn- und Geschäftsflächen als Bestandteil einer privatwirtschaftlichen Quartiersentwicklung.



Alternatives Investment und das Mietmodell


Die meisten innerstädtischen Entwicklungs-projekte basieren heute auf Verkaufsmodellen. Sie beschränken sich auf den Erhalt markanter historischer Einzelelemente wie Strassenfassaden oder Schornsteine und füllen maximierte Nutzflächen mit pragmatisch moderner Bau-substanz, die den oft kläglichen historischen Rest „kontrastieren“ soll. Dies wird klangvoll und gewinnorientiert verkauft und steht naturgemäß im wirtschaftlichen Konflikt zur historischen Substanz und jeder Form von Nachhaltigkeit.

Die Hohenemser Beispiele Jüdisches Viertel und Marktstraße können als stichhaltiger Nachweis gelten für die Stimmigkeit eines Anlagemodells, das die Objekte nur vermietet und so kleinteilige Quartiersentwicklungen erleichtert. Belebung und Wertsteigerung des gesamten Umfelds lasten nicht auf den Schultern von Käufern oder einer überforderten Kommune, sondern bleiben weiter im Interesse des Kapitals. Kombiniert mit einem umfassenden Verständnis für den Ort und die öffentlichen und atmosphärischen Qualitäten eines Quartiers ordnet hier eine sorgsame Hand die gestalterischen Beiträge von Architekten, Restauratoren, Freiraumplanern und Inneneinrichtern.


Handwerklichkeit


Stadteinwärts begleiten mich weitere historische Fassaden, die gerade von losem Putz befreit werden. Vorarbeiten, die den handwerklichen Aufbau dieser unprätentiösen Alltagsarchitektur des 18. Jahrhunderts zeigen: Fachwerk, Putzfragmente in angenehm gedeckten Farbtönen und die stille Eleganz historischer Handwerklichkeit. 
Ich stoße schließlich auf zwei frisch eröffnete Ladenlokale, von denen eines mit adretter Damenbekleidung, das andere mit frischem Biogemüse, Kaffeeduft und einer sehr lebendigen und zugleich persönlich stilvollen Gestaltung wirbt. Frühstück bei „Frida“, vielleicht davor noch eine Stunde Morgen-Yoga im Hof dahinter.


Das Gespräch mit der Besitzerin des Geschäfts führt mich wieder in diese Atmosphäre eines fröhlichen, aber bewußten Aufbruchs. Früher hätte sie in einer Bar gearbeitet, aber irgendwann wäre das für sie keine Perspektive mehr gewesen. Den Neuanfang einer nachhaltigen Lebensweise hat sie mit Unterstützung einiger Freunde geschafft, die auch leben wollen, was sie glauben.
Die Kombination von Bioladen mit Cafe und das Yogazentrum führen zu einer stimmigen Synergie, welche die baulichen Konzepte mit Leben füllt. Die Architektur ist zurückhaltend und bildet mit großzügigen Eichenholzrahmen eine stilvolle Basis. Darauf bauen die Geschäftsleute mit spürbarer Begeisterung auf. Ein Durchgang führt entlang großzügiger Auslagenflächen in einen kleinen, bekiesten Hof, der als Gastgarten für den Bioladen und Vorplatz für das Yogazentrum in der zweiten Hausreihe dient.

Die Boutique einer heimgekehrten Hohenemserin nebenan, eine Buchhandlung und eine wachsende Zahl an Geschäften haben zwar meist nur bis Mittag offen, aber ich bin schon gespannt auf den anschließenden Besuch im Visionscafé. Dort betreibt eine Gruppe von rund 15 Engagierten - ausgehend von einer Einrichtung des Visionsprozess  jetzt auf eigene Initiative Stadtvision. Lesungen, Vorträge, soziale Initiativen, die auch unter der Woche stattfinden. Wieder Gespräche, Fragen, neugieriger Austausch in offener Atmosphäre, Visitenkarten.

Die Revitalisierungen öffnen auch wieder eine Reihe von Durchgängen, die schon früher die Altstadt auszeichneten und das Innere der tiefen und schmalen Grundstücke beleben. Fußwege führen von der Schlossbergstrasse über mehrere Bebauungstiefen hin zur Marktstraße. Von dort gehe ich über eine solche Passage zum Jüdischen Museum. Die Ausstellung dort kenne ich bereits und so folge ich den Gebräuchen der 1813 gegründeten „Hohenemser Lesegesellschaft“ und blättere im Museumscafé zwischen Kuchen und Souvenirs in dem Panoptikum überregionaler Zeitungen. Schließlich geht sich noch ein Abendessen im Moritz aus, das Restaurant, das 2009 in der alten jüdischen Schule, gemeinsam mit einem kleinen Veranstaltungssaal eingerichtet wurde. Bei einem gepflegten Glas Holundersirup sinniere ich. Das ist doch keine sterbende Stadt! Freilich ist vieles im Aufbau, ein Netz von Intellektualität und Alternativen zwischen Vorstadtfragmenten. Das Zeitgenössische erscheint eingebunden in die historische Substanz und verbindet sich mit zwangloser Alltäglichkeit und auch einigen geschlossenen Fensterläden. Die Ungewissheit zukünftiger politischer Entscheidungen verbindet diese Schicksalsgemeinschaft. Alle Einrichtungen sind über Social Media, wie Facebook gut vernetzt und erreichbar. Letztlich ist es eine heterogene Atmosphäre von Diversität, Geschichtlichkeit und Bewusstheit, gepaart mit einem offenen und durchaus intellektuellen Umgang, der nichts zu verlieren hat: Eine neue Hohenems Community.



Text: Robert Fabach, Bregenz, 18.11.2015 / Fotos: Robert Fabach (1,4), Darko Todorovic (2, 3)

Quelle: ausfahrten * frisch gebautes aus vorarlberg

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