Der islamische Friedhof in Altach zeigt mit seiner Synthese aus
alpinen und muslimischen Elementen Architektur als gebaute Integration
Es passiert wohl eher selten, dass auf einem Friedhof pure strahlende Zufriedenheit herrscht. Noch erstaunlicher ist die Harmonie, wenn es sich dabei um ein Bauprojekt mit fast zehn Jahren Planungsgeschichte handelt, das obendrein das Pawlow'sche Reizwort "Islam" im Programm hat.
Wenn heute, Samstag, der Islamische Friedhof in Altach - nach Wien
der zweite in Österreich - eröffnet wird, hat ein langer Prozess einer
von Vorarlberger Sachlichkeit geprägten Zusammenarbeit, von der alle
Seiten in höchsten Tönen schwärmen, sein Ziel erreicht - und in einer
Architektur, die diese Zusammenarbeit verkörpert, seine Form gefunden.
Von Anfang an: Die 38.000 Vorarlberger Muslime, deren Familien meist
in den 1960er-Jahren als Gastarbeiter für die Textilindustrie gekommen
waren, mussten sich jahrzehntelang teure Rückführungen ins Ursprungsland
leisten, wenn einer ihrer Angehörigen starb. Der Kompromiss mit
Begräbnissen auf christlichen Friedhöfen konnte die rituellen
Anforderungen nicht erfüllen. Solange man sich noch als Bürger auf Zeit
fühlte, war das oft auch gewollt, doch nach Generationenwechsel und mit
österreichischer Staatsbürgerschaft schlug man Wurzeln im Ländle. Nun
wollte man Eltern oder Kinder auch nach deren Tod in der Nähe wissen.
Dass man 40 Jahre Steuern gezahlt hatte und die glaubensgemäße
Bestattung ein Grundrecht darstellt, kam noch dazu.
2003 wurde der Wunsch nach einer Lösung konkreter, man bildete eine
Interessengruppe. "Bis in die Neunzigerjahre haben wir uns noch als
reine Migranten gesehen", sagt deren Initiator Attila Dincer. "Doch die
junge Generation will Ja zu diesem Land sagen, und das kann sie erst,
wenn sie dort begraben werden kann."
Auf der Suche nach einem eigenen Friedhof fand man Unterstützung -
ausgerechnet von der katholischen Kirche. "Es ging ganz nüchtern darum,
zu erklären, wie ein islamischer Friedhof funktioniert", erklärt
Elisabeth Dörler, Islambeauftragte der Kirche, die als langjährige
Expertin eine Studie erstellte, "und dass es der Integration nicht
widerspricht, wenn Muslime einen eigenen Friedhof haben. Es geht darum,
dass beide Religionen sich wertgeschätzt fühlen."
Man trat an den Vorarlberger Gemeindeverband heran, eine
Arbeitsgruppe wurde gegründet, die 96 Gemeinden auf Standortsuche
geschickt. Anderswo hätten sich die Gefragten wohl taub gestellt, doch
hier fand sich schnell ein Freiwilliger: die Gemeinde Altach. Die
Öffentlichkeit wurde informiert, es wurde erklärt, vermittelt,
verstanden und schließlich beschlossen.
Ruhige Selbstverständlichkeit
Die Kritik hielt sich zur Überraschung aller Beteiligten in Grenzen.
"Ganze drei E-Mails habe ich bekommen von den üblichen
Leserbriefschreibern, das war alles", erinnert sich Bürgermeister
Gottfried Brändle. Waren in Vorarlberg bei früheren Islamdebatten die
Wogen oft hochgegangen, blieb es hier ruhig. "Die Lage ist nicht
exponiert, es gibt kein Minarett, und ein Friedhof hat einfach etwas
Selbstverständliches", erklärt der Bürgermeister. Sprich: G'storben wird
immer.
2007 wurde ein Wettbewerb für das Grundstück zwischen Altach,
Hohenems und Götzis ausgelobt, den der junge Dornbirner Architekt
Bernardo Bader gewann. Die Baukosten von 2,3 Millionen Euro teilten sich
Land, Gemeindeverband und Islamische Glaubensgemeinschaft.
Kurz vor der Eröffnung, gerade seiner Bestimmung übergeben, wirkt der
Friedhof in seiner ruhigen Selbstverständlichkeit, als wäre er schon
immer hier gewesen. Fünf schmale Grabfelder strecken sich wie die Finger
einer Hand in Richtung Mekka und deuten durch einen glücklich
geografischen Zufall noch dazu exakt rechtwinklig auf die grünumsäumte
Felskulisse, umrahmt von niedrigen, rostrot eingefärbten Betonwänden,
die betont offen gelassen wurden, nur zur Straße hin Sicht- und
Lärmschutz bieten.
"Hätten wir eine drei Meter hohe Mauer drum herumgebaut, wäre das nur
eine Einladung zu Sprayeraktionen gewesen", sagt Architekt Bernardo
Bader. "Es sollte schlicht und pragmatisch sein, aber gleichzeitig seine
Funktion nicht verleugnen."
Eine überzeugende vorarlbergerisch-islamische Synthese, die vor allem
im Friedhofsgebäude zum Tragen kommt, das den Gräbern wie ein sechster
Finger beigestellt ist. Hier wird keine überdeutliche Symbolik wie der
Halbmond benötigt. Eine lange Öffnung in der Seitenwand, ausgefacht mit
einem hölzernen Stabwerk, dessen Ornamentik das islamische Achteckmotiv
aufgreift, erzeugt mit Vorarlberger Holzbau-Know-how ein orientalisch
anmutendes Licht- und Schattenspiel.
Der Rest ist einfach. Ein islamischer Friedhof braucht nicht viel:
einen geschlossenen Raum für die Totenwaschung, einen offenen,
überdachten Bereich für die Verabschiedung im gemeinsamen Gebet, zwei
edle, angenehm griffige Messingwasserhähne zum Waschen der Hände, einen
Stein, um den Sarg abzustellen, einen halboffenen Hof als Hintergrund,
geschützt und offen zugleich.
Den rituellen Anforderungen wäre damit Genüge getan, doch der
Friedhof bekam noch einen weiteren, geschützten Raum. Dieser dient zur
Andacht, zum Gebet in der kalten Jahreszeit oder als Aufenthaltsraum für
Kinder, während draußen die Waschungen vorgenommen werden. Die
Verbindung von islamischen und alpinen Elementen wurde hier noch weiter
verfeinert - in Zusammenarbeit mit der in Bosnien und Österreich
aufgewachsenen Künstlerin Azra Akšamija.
Sie hängte vor die weißgekalkte Holzwand mit dem Fenster in der Mitte
drei zueinander versetzte Vorhänge aus Metallgewebe, in das
Holzschindeln eingeflochten sind. Die Vorhänge folgen dem Prinzip von
Gebetswand (Qibla) und Gebetsnische (Mihrab). Die goldbeschichteten
Schindeln zeichnen in kufischer Schrift die Worte "Allah" und "Mohammed"
nach. Ein heller Raum, der in seiner meditativen Behaglichkeit in der
Tat wie eine Mischung aus Moschee und Bergstüberl wirkt.
"Die Qibla-Wand funktioniert auf drei Ebenen", sagt Akšamija. "Als
funktionaler Sicht- und Sonnenschutz, als dekoratives Objekt, das mit
Licht und Schatten spielt, und symbolisch durch die Kalligrafie und die
Mischung der Materialien." Die sechs Reihen monochromer Gebetsteppiche,
fein abgestuft von dunkel nach hell, wurden in Bosnien handgefertigt.
Draußen ist das erste der 700 Gräber schon belegt, ein Kindergrab.
Noch allein. Neben einem Feld aus grauem Kies, das bald begrünt sein
wird. Eine kleine Holztafel, Blumen, eine Kerze. Ein zartes und
bewegendes Bild.
Ein Beispiel für gelungene Integration also? Trotz Schwierigkeiten
und Scheiterns in anderen Bereichen: "Eindeutig ja", meint Attila Dincer
von der Interessengruppe. "Der Friedhof ist das herzeigbarste
Integrationsprojekt, das wir haben." Die Heimat vor dem Arlberg, Mekka
dahinter: Es könnte immer so selbstverständlich sein wie hier.
(Maik
Novotny, Album, DER STANDARD, 2./3.6.2012)
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